2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Deshalb war ich die bequemste Möglichkeit. Und weil ich der wundersam wieder zum Leben erwachte Schakal war, die halbgöttliche Hüftball-Legende, die den Ausbruch des San Martín vorhergesagt hatte, begrüßte ein großer Teil der Öffentlichkeit meinen Aufstieg auf den Thron sogar. Natürlich betrachteten viele Leute mich nach wie vor mit tiefem Misstrauen. Doch in Ix und in ganz Mesoamerika hatte sich im Laufe des vergangenen Tuns vielverändert, und die Menschen mussten Ereignisse hinnehmen, die vor dem Untergang Teotihuacáns völlig fehl am Platz erschienen wären.
Dennoch, ich hatte Glück. Koh hätte genauso gut einen anderen Strohmann vorschieben können, eines der jüngeren Ozelot-Geblüte zum Beispiel. Daher war ich mir ziemlich sicher, dass Koh deshalb so handelte, weil sie ehrlich wollte, dass ich ins letzte B’ak’tun zurückkehrte. Weshalb, konnte ich nach wie vor nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Jedenfalls sah sie sich in der Rolle als Beschützerin ihrer Nachkommen, und wenn sie ihre Nachkommen lange nach ihrem eigenen Tod beschützen konnte, wären ihre Uays noch in ferner Zukunft mächtig, gewannen vielleicht sogar an Macht.
Und sie hatte 2-Juwelenbesetzter-Schädel in ihrer Gewalt.
Wie es dazu gekommen war, hatte ich nicht mitbekommen. Kohs Männer hatten ihn während der Erdstern-Krawalle umzingelt und – erstaunlicherweise – lebend gefangen genommen. Jetzt bewahrte Koh ihn im ehemaligen Folterhaus der Ozelots in einem Korb auf, wo zwei Wächter ihn keinen Schlag lang aus den Augen ließen, damit er nicht auf irgendeine raffinierte Art und Weise Selbstmord begehen konnte, indem er sich zum Beispiel ein Stück aus der Backe biss und sein eigenes Blut schluckte, bis er verblutete – was tatsächlich von mehr als nur einem Zwanzigjahresgefangenen verübt worden war.
Andererseits waren viele Ball-Brüder und andere Harpyien 2-Juwelenbesetzter-Schädel noch immer treu ergeben. Deshalb mussten wir ihn gut behandeln und den Schein wahren, an den niemand glaubte – dass ich das Harpyien-Haus auf seine Bitte hin übernahm. Und ich vermutete, dass Koh ihn, klug wie sie war, in Reserve hielt. Wenn ich ihr Schwierigkeiten machte, konnte sie ihn jederzeit wiedereinsetzen und mich abservieren. Ein Grund mehr, weshalb ich mich vorsehen musste.
Meine beiden Kostümierer hoben mich hoch. Mein Beinstumpf steckte im Korbkonus meines muschelbesetzten Beins – aus dem Oberschenkelknochen von jemandem, der größer gewesen war als ich, zur Schlange geschnitzt, die dort, wo mein Fuß gewesen wäre, den Kopf nach vorn reckte –, und sie befestigten es mit Darmstreifen an meinem Knie. Trotz der schmerzstillenden Salben tat es weh.Sie kämmten mir das Haar mit einer Bürste wie einem Handfeger und ölten es, parfümierten es, flochten es, arbeiteten Perlen hinein, banden es, versahen es mit Quasten und brachten die Verlängerungen an. Sie wickelten mich in einen langen roten Rock mit Sternen aus spiegelndem Obsidian und nähten mich in eine Art aus Federn gewobener Tunika ein. Mein neuer Diener legte weite Muschelmanschetten um meine Oberarme und solche aus Jade knapp über meine Handgelenke. Eine weitere Schärpe kam um meine Hüften, und über meine Schultern drapierten sie ein mit weißen Jadeperlen besetztes ponchoartiges Ding. Mein Friseur frisierte mein Haar zu einem Dutt und setzte etwas darüber, das wie ein geschmückter Turban aussah, auf dem ein ausgestopfter muan hockte, ein Mischwesen aus mehreren Vögeln mit dem Kopf eines Kaimanbabys und dem Schnabel eines Kondors. Dann staubten sie mich ab.
Zuerst kroch der Symposiarch zur winzigen Tür hinaus. Er war ein berühmter Profi-Sonnenaddierer aus einer neutralen Sippe in Kaminaljuyu, dessen poetischer Name Zur Linken lautete, und den man wohl auch den Toastmaster oder Zeremonienmeister nennen könnte. Er fungierte als Kopf meiner Heiratssponsorendelegation. Die Kostümierer hoben mich halb hoch und reichten mich zu ihm hinaus. Die kleine Kammer war von warmem, saurem Atem und Kohlendi- sowie -monoxid erfüllt, als wären wir in der Lunge eines riesigen Rauchers, und die frische Luft traf mich fast wie ein Schock.
Wir kamen in den Innenhof des Harpyien-Hauses, wo 2-Juwelenbesetzter-Schädel mich vor einer psychologischen Jahrmilliarde in einem Korb gefangen gehalten hatte. Der viereckige Himmelsausschnitt sah aus wie eine alte Schiefertafel, über deren Ostrand Eos mit den Krallen scharrte. Meine beiden Heiratssponsoren
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