2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
die wichtigsten Dinge. Jedes von ihnen beruhte darauf, dass vorher Hunderte andere Dinge erledigt wurden, damit zumindest die Chance bestand, dass alles funktionierte. Und ich sah bereits Doppelbilder und hatte Mikro-Blackouts und anfallartige Kopfschmerzen und andere Symptome für einen Hirntumor. Ehe ich überhaupt anfangen konnte, mussten mein Beinstumpf und meine Augenhöhle verheilen. Tagelang lag ich still in einer kleinen, rosa getünchten Kammer, an die ein kleines Schwitzbad angeschlossen war, eine Art Promi-Klinik mit Entgiftungscenter, und spürte, wie meine Wunden unter furchtbarem Jucken zusammenheilten. Ich machte Yogaübungen mit meinem verbliebenen Auge, bewegte den Fokus so langsam wie möglich von links oben nach rechts unten, wiederholte das Ganze ein paar hundert Mal und wurde dabei bestens vertraut mit den Pocken und Rissen in der Stuckdecke. Ich war aus dem Tritt und völlig erschöpft, und in diese Erschöpfung mischte sich ein Hauch jener Resignation, die einen überkommt, wenn man weiß, dass man irreparabel beschädigt ist. Manchmal, wenn ich einschlief, schlich sich ein Tätowierer zu mir herein und rieb Betäubungsmittel auf, sagen wir, meinen Oberarm, und wenn ich aufwachte, hatte ich eine wunde Stelle mit einer neuen Reihe von zwanzig Kopf-Hieroglyphen und den Namen jedes Gefangenen, den ich angeblich gemacht hatte. Natürlich hatte ich niemanden gefangen genommen, aber das Blut der Gefangenen war mir von Frau Koh gewidmet worden, weil ich ihre Gefangennahme erst ermöglicht hatte. Gefangene gemacht zu haben war etwas Ähnliches wie der Mord, mit dem ein Mafioso dem Paten seine Ergebenheit beweist.
Aufmerksam wie sie war, hatte Koh auch Hun Xoc aus der Gefangenschaft ausgelöst. Seine Armstümpfe waren verheilt, aber man konnte die halbmondförmigen Querschnittsflächen der Knochen mitten in den verödeten Krusten darauf sehen, und freiliegender Knochen ist schmerzhaft, besonders bei kaltem Wetter. Er hatte künstliche Arme bekommen, die aus menschlicher, über ein Weidengeflecht gespannter Haut bestanden und stilisierte Hände besaßen, die an Blumen erinnerten. Sie ließen sich an Knöpfen befestigen, die in denArmstümpfen verankert waren. Doch wenn er bei mir war, ließ er sich die künstlichen Arme abnehmen und die Stümpfe von einer meiner männlichen Krankenschwestern mit Öl einreiben. Natürlich fragte ich ihn und jeden anderen über die Schlacht aus. Er sagte, schon ehe wir Ix erreichten, hatte Koh 1-Gila und ihrem Hauptverband befohlen, zwei Tage zu warten, nachdem sie von 2 JS entdeckt worden waren. Koh hatte dafür gesorgt, dass die Ozelots und die Harpyien einander so lange wie möglich bekämpften, damit die Ixob erschöpft wären und unter Drogen ständen, wenn die Rassler-Truppen eintrafen.
Ich hatte den Erdsternstaub kurz vor Mitternacht in den Brunnen praktiziert, und erst gegen Abend des folgenden Tages begannen die ersten Harpyien-Geblüte, die aus dem Wassersystem getrunken hatten, sich ungewöhnlich glücklich zu fühlen. Natürlich schrieben die meisten dieses Hochgefühl dem überragenden Sieg zu, und in dem Nebel der Nachwehen der Schlacht und dem vielen B’alche’, dem voreiligen Schmausen und Vergewaltigen und Plündern und was immer sonst nach dem Zusammenbruch der militärischen Gliederung der Ozelots geschah, hatte sich das drogenversetzte Wasser fast über die ganze Stadt verteilt, besonders über den Großteil der Harpyien-Sippe, ehe ein paar nüchtern Gebliebene begriffen hatten, was vor sich ging. Vor allem hatte der Erdsternstaub fünf der acht Kommandeure von 2-Juwelenbesetzter-Schädel mitsamt ihren Truppen ausgeschaltet. 2-Juwelenbesetzter-Schädel oder 9-Reißzahn-Kolibri waren nicht betroffen gewesen. Sie tranken wahrscheinlich nur Regenwasser. Außerdem wurde ihr Essen vorgekostet, gelagert, zubereitet, wieder gekostet und dann per Zufallsprinzip ausgewählt. Auf jeden Fall war der Erdsternstaub ein durchschlagender Erfolg gewesen.
Aus dem, was die Kostümierer erzählten, schloss ich, dass Koh bei 2-Juwelenbesetzter-Schädel den Eindruck erweckt hatte, sie ziehe sich nach Nordosten zurück, doch dann hatte sie ihre Bekehrten um den äußersten Späherkreis der Harpyien-Sippe herumgezogen. Angeblich hatte sie sogar zwei ihrer Doubles gefangen nehmen lassen, um die Harpyien von ihrer Fährte abzulenken. Und dann, als die Droge zuschlug, hatte sie ihre riesige zusammengewürfelte Horde in der allgemeinen Verwirrung angreifen lassen. Koh war in
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