2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Geheimnisse enthielten, als dass ein echter Anteilseigner sie je zu Gesicht bekommen durfte.
Zuerst gab es so viel durchzusehen, dass ich raten musste, wo ich anfangen sollte. Die Warren Group beinhaltete Firmen, die sich »mit allem« befassten »von Aerospace bis Zooplastik« – darunter eine Mantelgesellschaft, der ein kontrollierender Teil von Executive Solutions gehörte, sodass auch dieses Geschäft »in der Familie« blieb. Ich suchte in diesen Dateien nach »Lindsay Warren«. Ein Index erschien, der eine Liste aller Besprechungen enthielt, an denen Lindsay persönlich teilgenommen hatte. Ich durchsuchte die Protokolle dieser Besprechungen nach der Wortkombination »Pachisi-Projekt«. Die älteste Datei in der Trefferliste war auf den 1. Januar 2011 datiert. Ich öffnete die erste Videokomponente mit dem schönen Titel Einführende Bemerkungen von LSW.
Ich sah Lindsay an einem Rednerpult stehen, vor einer riesigen Videowand, auf der Nachrichtenclips, PowerPoint-Tortendiagramme und die anderen Unverzichtbarkeiten für Firmenpräsentationen flimmerten.
»Seit Nine-Eleven«, sagte Lindsay, und hinter ihm lief ein Video der zusammenbrechenden Twin Towers in Zeitlupe ab, »begreift man auf höchster Ebene, dass Amerika eine neue Kriegerideologie benötigt, eine Ideologie, die in direkte Konkurrenz mit dem Islamismus treten kann. Wie viele von Ihnen wissen, haben wir in unseren Beiträgen zu diesen Diskussionen immer betont, dass Ikonen wie das Sternenbanner und Onkel Sam und Geschichten über George Washington allein nicht mehr ausreichen.« Das Bild hinter Lindsay wich einer Aufnahme marschierender Mudschahedin. »Diese Dinge sind zu sehr altmodisch belegt, und es ist zu einfach, sich darüber lustig zu machen. Im Grunde sind sie einfach nicht sexy. Wir benötigen etwas Stylischeres, Mystischeres, Jugendlicheres.«
Hinter Lindsay tauchte die große Ciudadela-Pyramide von Chichén Itzá auf.
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»Bei unserer letzten Präsentation vor den Vereinigten Stabschefs, die sehr gut verlief, wie ich Ihnen nicht zu erklären brauche, habe ich angeführt, dass schon die Pfadfinder die richtige Idee hatten, als sie Wörter und Konzepte der Indianer benutzten – aber natürlich wussten selbst wir Eagle Scouts nie so richtig, wovon wir eigentlich sprachen.«
Vereinzeltes höfliches Gelächter klang auf.
»Heute jedoch«, fuhr Lindsay fort, »können wir die Idee aufgreifen und sie weiter entwickeln denn je, indem wir jede einzelne unserer Kernkompetenzen darauf anwenden: neue Medien, alte Medien, postmediale Medien, Psychotechnologie …«
Wie ich nun begriff, hatte Lindsay keineswegs wegen der mormonischen Mythen über das präkolumbianische Amerika ein Interesse am Opferspiel entwickelt, oder weil er Investor bei Computerspielefirmen war. In den Monaten nach dem Anschlag vom 11. September 2001 hatte das Pentagon vielmehr nach Möglichkeiten gesucht, Soldaten einen »Ethos der Selbstopferung« einzuimpfen, wie ihn die Djihadisten besaßen. Man finanzierte bereits Studien über Selbstmordattentatskulturen und andere Mikrogesellschaften, in denen Selbstopferung noch immer als oberste Tugend galt, und hatte herausgefunden, dass ein »Hauch Märtyrertum« solche Gesellschaften stabilisierte, innere Streitigkeiten ausglich und sie dazu brachte, ihre Ziele energischer zu verfolgen – mit anderen Worten: gewalttätiger. Die Idee lautete, eine »terroristische Grundeinstellung zu kultivieren, die der Terrorabwehr dienen« sollte. In ihrem Antrag, mit der nächsten Phase der Studie betraut zu werden, hatte die Warren Group angeführt, dass die indianischen »Kulturen der Strenge« im Kern sogar noch ernster waren als die der Islamisten. Nachdem Warrenden Auftrag an Land gezogen hatte, begann ein Team mit der Suche nach den Symbolen, denen ihr Leben gehorcht hatte, und stießen auf Taros Arbeiten zu Pachisi.
Wie zu der Zeit bereits wohlbekannt war, finanzierte die DARPA schon damals hochspekulative Forschung, zum Großteil allerdings zu Fernbeobachtung und Ereignisvorhersage durch spirituelle Medien. Bis 2003 schien dies in eine Sackgasse geführt zu haben, und das Verteidigungsministerium leitete mehrere Milliarden Dollar Forschungsbudget an andere Konzerne um, die an »aktuellen Exotika« oder »unkonventionellen Lösungen gegen den globalen Terrorismus« arbeiteten. Unter diesen neuen Empfängern war auch Warren. Zu den finanzierten Projekten zählten Langzeitsimulationen, Bewusstseinsübertragung,
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