2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Singularitätsprojektion und andere Ansätze, Anschläge von Terroristen oder abtrünnigen Militärs zu verhindern, ehe sie sich ereigneten. Und wie ich bereits wusste, war Taros Wettersimulationsforschung teilweise von SAGA (Studies, Analysis and Gaming Agency) der Vereinigten Stabschefs finanziert gewesen. Als Lindsay den Bericht über das Opferspiel las, musste er das Gefühl gehabt haben, eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungen finde plötzlich zusammen – auf eine Weise, die bei jemandem wie ihm den Eindruck erwecken konnte, er folge einer göttlichen Bestimmung.
Wie auch immer tauchte ab 2005 mein Name regelmäßig auf. Er erschien in über zweitausend unterschiedlich alten Dateien, von denen einige vor meinem ersten Gespräch mit Michael Weiner entstanden sind, bei dem es um guatemaltekische Gerichtsakten über das Massaker in T’ozal ging. Offenbar hatte mich das Pachisi-Projekt über einen langen Zeitraum hinweg genau im Auge behalten (und außer mir noch eine Reihe anderer möglicher Kandidaten). Es gab Aufnahmen von Taro, wie er mit mir am Spiel arbeitete, während ich noch die Highschool besuchte.
Nach einigen Minuten Schnüffelei fand ich eine Datei von meinem ersten Zusammentreffen mit Marena in ihrem Büro. Wie ich damals schon argwöhnte, hatte sie unser Treffen komplett mit ihrem Netphone aufgezeichnet. Ich sah mein eigenes Gesicht beim Betrachten des Codex, und dann beobachtete ich mich, wie ich insBadezimmer gehe, während Marena einen Videoanruf tätigt. Der Anruf geht an Lindsay.
Aus ihrem Gespräch geht eindeutig hervor, dass spätestens seit 2010, als der Codex Norenbergae zuerst fotografiert wurde und Lindsays Team das Pachisi-Projekt schon klar vor Augen stand – im Prinzip die gesamte Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die das Opferspiel untersuchte –, ich einer von fünf Kandidaten sein sollte, der in einen noch unbestimmten, im Jahr 664 lebenden Probanden »geladen« werden sollte. Anfang 2012 sagt Marena zu Lindsay, dass sie mich für den »absolut Besten« halte, und sie erzählt Lindsay von meiner Disney-World-»Vorhersage«. Lindsay erwidert, er sei sich nur zu sechzig Prozent sicher, was »dieses Spiel« angeht, und was »diesen Jed« betrifft, sogar nur zu fünf Prozent«, aber er werde abwarten und sehen, was geschehe.
Verständlicherweise kochte ich vor Zorn. Trotzdem gelang es mir, »in der Spielzeit« zu bleiben und der Spur weiter zu folgen, indem ich eine Datei nach der anderen durchsah. Nach dem Anschlag auf Disney World – den außer mir kein anderer Kandidat erwartet hatte – überschlugen sich Marena und ihr Team. Da sie annahmen, dass ich ablehnen würde, was sie mit mir vorhatten, manipulierte Marena mich so weit, dass ich mich freiwillig meldete. Miststück, dachte ich. Natürlich war es eine akustische Halluzination, doch mein Gedanke klang, als hätte ein Moskito im Zimmer so etwas gesagt wie: »Die kriegen wir.«
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Marenas Täuschung wurmte mich mehr, als angemessen war. Ich habe es doch sowieso schon gewusst, dachte ich. Aber nicht so genau. Auf dem Angestellten-Locator, auf dem sie trotz Kündigung nach wie vor erschien, schaute ich nach, wo sie steckte, und stellte fest, dass sie auf dem Heimweg von Max’ Schulaufführung war. Beinahe hätte ich sie angerufen und zur Rede gestellt; stattdessen blätterte ich weiter durch jedreiche Dateien und wechselte in ein Verzeichnis namens PROJEK T CHOCUL A \ IX \ IX RUINAS \ BERGUN G. Es enthielt wenigstens hundert Gigabyte Text und mindestens achtzig Stunden Videos. Im ersten Video sah ich mich kurz vor dem Hochladen, eindeutig betäubt, wie sie mich in die Höhlen hetzten, während die guatemaltekischen Soldaten sich näherten. Bei der Durchsicht der Bergung-Dateien rekonstruierte ich vieles von dem, was während der Grabung sozusagen abseits der Bühne geschah. Offenbar überzeugte ein Kontaktmann Lindsays im guatemaltekischen Militär, den die Datei »Felix« nennt, die Guate-Truppen, ihre Übungen während der Erkundungs- und Hochladephase im März von der Stätte wegzuverlegen. Dann, im September, gelang es der gleichen Person, Patrouillen der Militärpolizei von Ix Ruinas abzulenken, wodurch das Bergungsteam unentdeckt solange dortbleiben konnte. Wie auch immer, als man sich zu meinem Grab durchsprengte – im Schutz eines Gewitters, damit die Explosionen für Donner gehalten wurden –, entdeckte ein Militärsatellit die chemischen Entladungen, und irgendwie gelangte die Information zu
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