2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)
Hurrikan, der du Herrn Hitzes erste Dämmerung beseeltest …«
Ich übernahm:
»«, sagte ich, » Teech kiwohk’olech la abobatt’aantaj uxul kiimlal …
Du über uns, der du sein letztes Sterben vorhersiehst …
Teech Aj k’inich-paatom ya’ax lak …
Du, sonnenäugige Ringlerin auf dem blaugrünen Becken …«
Ich hielt kurz inne. Wie lautete der nächste Teil noch mal? Ach ja, richtig. Ich wollte gerade fortfahren, als Koh übernahm und den Satz allein beendete:
»Teech uy ya’ax-’ot’el-pool ya’ax-tuun ch’e’e …
Du, jadehäutige Schnitzerin der türkisen Zisterne …«
Ich warf einen Blick zum Baum hinauf. In den Maya-Sprachen werden Gegenstände eher durch ihre Ähnlichkeiten in Form oder Funktion klassifiziert statt durch ihre Unterschiede, sodass zum Beispiel Insekten, Fledermäuse und Vögel derselben Klasse angehören. Das Maya-Skelett meines geborgten Gehirns tat nun das Gleiche, sodassder Baum, der wie gesagt eine Zypresse war und ist, in meinen Augen auch ein Kautschukbaum war, ein Flaschenkürbis und besonders ein Ceibabaum, der Ceibabaum, ya’ax che, Ceiba pentandra, der Kapokbaum, der Bombax, der Großzügige Baum. Er war dornig, mit Cephalanthera austiniae besetzt, die seinen roten schleimigen Saft saugten, und bewölkt mit Cynopterus-sphinx -Flughunden, die seinen unvergleichlichen Nektar ernteten, und seine Äste breiteten sich in einem Bogen aus, der so steil war wie die Zissoide des Diokles. Und dann, ohne dass sich etwas zu ändern schien, war er auch ein Steinbaum wie ein titanenhafter Stalaktit, und dann war er ein Stratovulkan, höher als der Citlaltépetl, dessen Strebewurzeln die dreizehn Himmelsschalen durchbohrten.
»Teech te’ij acho’oh jul-che’o’ob«, fuhr Koh fort, »uchepiko’ob’ noj k’ahk’o’ob …
Du, dort, dessen zischende Speere treffen wie Feuer …
Meent utz anuhko’on wa’ye’ ti’ amosoon.
Neige dich herab, uns zu antworten, hier, aus deinem Sturmwind.«
Sie senkte den dunklen Ringfinger ins Wasser und rührte eine Wolke aus asphaltischem Dampf auf.
Sie könne ihn riechen, sagte sie.
Sie meinte 2-Juwelenbesetzter-Schädel.
Sie hielt inne. Er gleiche mir mehr, als ich ahnte, sagte sie.
Ich hätte beinahe gegen das Protokoll verstoßen und sie gefragt, was sie meine, doch sie ging weiter, den Stamm unseres nunmehr verinnerlichten Baumes hinauf, im Zickzack durch die sich gabelnden Äste. Sie setzte die Steine so rasch, dass sie mich manchmal einfach nur ihre Hand führen ließ, ohne dass sie auf das Brett schaute. Natürlich hatten wir einen gewaltigen Vorteil, denn ich nutzte mein – in aller Bescheidenheit – enzyklopädisches Wissen über Mesoamerika, die Welt und die Wirtschaftsgeschichte, um Koh zu leiten. Doch wie ich bereits ein paar Mal angedeutet habe, mussten wir mit der kosmischen Frustration fertigwerden, dass wir nicht in unsere eigenen Ereigniskegel blicken konnten. Das soll heißen, dass alles, was mir oder Koh oder den Personen widerfahren würde, auf die wir direkt einwirken konnten, noch im Fluss war. Aber je weiter wir in die Zukunft vorstießen, desto klarer wurde paradoxerweise alles. Zum Beispiel wussten wir, dass der Zeremoniendistrikt von Ix innerhalb des nächsten K’atuns – den nächsten zwanzig Jahren – aufgegeben würde, aber genauer konnten wir den Zeitpunkt nicht eingrenzen. Wann Motul – Tikal – aufgegeben wurde, ließ sich mit größerer Sicherheit sagen: um 949. Wir sahen und wussten beide, wie Chichén 1199 durch Verrat unterging und wie die nächste Maya-Hauptstadt, Mayapán, 1441 von den Xiu zerstört wurde. 1515 würde die ganze Welt beinahe an der Pest zugrunde gehen, um neun Jahre später, 1524, von Tonatiuh – »Sonnenhaar« – Pedro de Alvarado endgültig fertiggemacht zu werden. Die K’atunob’ der Sklaverei und des Schmerzes in der Zeit danach waren gut dokumentiert, und wir krochen zusammen immer weiter hinaus zu dem dünnen grünen Zweig der letzten Möglichkeit, vorbei am Disney-World-Horror und an Marenas Fund des Magnetsteinkreuzes in Richtung eines wahrscheinlichen Endes von Allem, einem Doomster namens M-irgendwas, im Norden irgendwo … in Kanada … und dann … jawohl, sie, wir, wir stoppen ihn!, und dann …
Moment.
»Der Eine aus dem Norden ist nicht der Letzte«, sagte Koh. Ihre Stimme schwankte von der Anstrengung.
»Nicht der letzte Doomster?«, fragte ich.
»Nein.« Ihr gingen die Maiskörner aus. Sie verstreute sie wieder und wieder und
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