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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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oder kommst du mit uns, damit wir die Biester auf den Mond schießen können?“
    Da rannten wir los.

DAS SCHICKSALSRAD
    Wir holten die Fahrräder und rasten mit den in Ballen verpackten Trikots, Schuhen und Helmen durch die Magische Furt . Wir jagten im Pulk an der Gespensterbrücke vorbei, ignorierten die Wölfe und April, die uns ausdrucklos nachschauten, und hielten erst auf dem von den Gletschern der Eiszeit aufgeworfenen Kamm. Dort, im westlichsten Winkel des Wilden Walds, auf dem Highway nach Donnerschlag , der von riesigen Bäumen gerahmten Allee der Besten der Besten, hielten wir an. Wir stellten die Fahrräder nebeneinander, nahmen jeder von uns sein Paket und zogen uns hinter die Bäume zurück.
    Eine halbe Stunde danach, es war schon fast dunkel, gab Leon Juli das vereinbarte Zeichen. Der drückte den Knopf einer Fernbedienung. Der MP3-Player des High-Noon-D-Day-Thunder-Blasters sprang sofort an, und die ersten tiefen Bässe des Hadschi-ben-Hadschi-Subwoofers ließen unsere Bäuche auf feierliche Weise vibrieren. Dann ertönte die Hymne, und als der Chor „Den Tag der Entscheidung“ verkündete, traten wir stolz und furchtlos hinter unseren Bäumen hervor. Jeder von uns trug sein neues Trikot, die Protektoren und Stiefel, und auf unserer Brust glühte das Sonnenaufgangslogo in dunklem und magischem Plasma-Orange.
    Wir trafen uns auf der Mitte des Kamms, gingen wie eine Wand zu unseren Rädern und stiegen entschlossen in unsere Sättel. ‚Tag der Entscheidung’, klang es aus dem Beiwagenrad. Wir strahlten uns an. Wir waren glücklich und stolz. Da spürte ich den Blick im Rücken. Er bohrte sich durch die Protektoren hindurch und hielt mich mit Widerhaken fest. Er zog mich und zerrte, und ich konnte nicht anders. Ich drehte mich um und sah April an.
    Sie stand ganz allein zwischen den riesigen Bäumen.
    Sie stand aufrecht und stolz auf ihrem Quad.
    Sie schaute mich an, und ihr Blick sagte alles.
    „Komm, Marlon, komm!“
    Sie zog an den Haken. Sie zog mich zu sich. Doch Zweifel hat jeder, hatte Billi gesagt, und deshalb biss ich die Zähne zusammen. Ich riss die Widerhaken aus meinem Rücken und drehte mich um, zurück zu den Freunden. Ich nickte Leon, unserem Anführer, zu, und der fragte:
    „Nerv? Was sagt der Schlüsselanhänger? Leuchtet er schon?“
    Der Dampfhammerboosterkerl hob seine Faust, und als er langsam die Finger spreizte, sahen wir alle das rote Licht, das in diesem Moment aus dem sonst silbernen Fußball kroch.
    „Dann geht es jetzt los!“, rief Leon den Satz, den ich von allen seinen Sätzen am liebsten mochte.
    „Dann geht es jetzt los!“, antworteten wir alle im Chor, traten kraftvoll in die Pedale und trieben den schwarzen Pulk über den mächtigen Kamm.
    Wir schossen über den Donnerschlag highway und durch das Tor des gespaltenen Baums. Wir flogen durch den unterirdischen Tunnel und tauchten durch den Vorhang aus Efeu in unser Stadion ein.
    Ja, hier und nirgendwo anders wollten wir spielen. Dafür hatten wir die letzten zwei Wochen alle gekämpft. Wir, die letzten sieben Kerle, die es noch gab. Und obwohl wir nur sieben waren, sieben von einstmals stolzen vierzehn, fühlten wir uns so stark wie noch nie. Ja, wir hatten gearbeitet, gelitten, geheult, gestritten, und vor allen Dingen hatten wir ganz hart trainiert. Deshalb war Markus, der Unbezwingbare, niemals zuvor unbezwingbarer gewesen. Niemals zuvor war Maxis Triple-M.-S.-Stein zerschmetternd härter und Leons Slalomdribbel-Blitzpass-Kunst hinterhältig gemeiner gewesen. Niemals zuvor hatte Raban zwei gleichermaßen starke Füße gehabt. Nervs Seitfallflugvolley-Dampfhammer-Booster war eine Mensch gewordene Maschine. Juli war nicht mehr nur eine Viererkette. Er war zur Chinesischen Mauer mutiert. Dem Eisernen Vorhang vor unserem Tor. Und ich las die Gedanken meiner sechs Freunde, noch bevor sie sie denken konnten, und verteilte die Alptraumpässe nach Belieben.
    Wir waren ein Team, eine verschworene Gemeinschaft, und so unbesiegbar, wie wir uns fühlten, standen wir jetzt auf dem Boden der riesigen Höhle und schauten in ein schwarzes Nichts.
    Das Loch in der Decke schien verhangen zu sein. Kein Mond- oder Sternenlicht konnte von den Spiegelkristallen aus Quarz, die überall an den Wänden und Brücken hingen, eingefangen und wieder ausgestrahlt werden. Doch anstatt uns zu fürchten, erinnerten wir uns an die Ankunft in Hamm, als wir alle nacheinander über die Strickleiter hinauf in die kreisrunde Kugel der

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