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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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geschmiert. So ging es dann weiter. Sie lachten und schimpften, und schließlich wuschen sie sich. Die Welt war in Ordnung. Camelot 3 wuchs und gedeihte. Heute Abend war endlich das Spiel, und Raban verkündete, dass sie die neuen Trikots bekamen. Da fiel sein Blick auf den kalten Kakao.
    „Hey, wo ist Marlon?“, rief er besorgt.
    Sie sahen, dass keines der Kanus fehlte. Sie kombinierten blitzschnell. Ich war ganz offensichtlich geschwommen, und weil ich so nicht durch die Stromschnellen kam, fuhren sie mit den Kanus zu der Seite des Flusses, von dem sie wussten, dass an ihm ein Pfad die Steilwand hinauf zum Hochufer führte. Sie fanden die Spuren von Aprils Quad. Sie schimpften und fluchten, und weil ihre Fahrräder flussabwärts standen, rannten sie den Quadspuren nach. Sie rannten quer durch die Stadt und über die Steppe, fanden im Teufelstopf den Einband von meinem Notizbuch, aus dem sämtliche Blätter gerissen waren. Sie entdeckten die Reifenspuren am Fuß des Hügels und rannten atemlos zurück. Zurück zum Fluss. Sie kämpften sich durch die Magische Furt, und ihre Lungen schienen zu bersten, als sie über die Gespensterbrücke und durch das fauchende Tor in die Geheimhalle taumelten, in der die Wölfe von Ragnarök seit Beginn der Ferien trainierten.
    „Hey, wo ist Marlon?“, rief Raban noch einmal, doch bevor April, Erik oder Klette irgendetwas antworten konnten, entdeckten er und die Kerle Marlons Klamotten an einer Leine über dem Feuer.
    „Marlon, wo bist du?“, rief Leon zornig und stürzte sich – immer noch heftig nach Atem ringend – auf April. „Was hast du mit meinem Bruder gemacht. Der ist kein Verräter!“
    Er packte das Mädchen, und die ließ das zu. Sie gab den andern Wölfen sogar ein Zeichen, dass sie ihr auf keinen Fall helfen sollten. Dann fixierte sie Leon und sagte ganz trocken.
    „Ihr seid zu spät. Er ist nicht da.“
    „Ach, was du nicht sagst!“, blaffte Leon zurück. „Dann läuft er wohl gerade nackt durch die Stadt.“
    „Das würde ich nicht sagen!“, lächelte April, und Leon, der jetzt die Eifersucht spürte, die in der Stimme des Mädchens mitschwang, dachte sofort: Vanessa.
    Ja, und Maxi und Markus riefen dasselbe. Sie riefen: „Vanessa!“
    Nerv schimpfte: „Tortengussschmusiger Spotzentausch!“ Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und fluchte: „Dann soll’s halt so sein! Dann wird es jetzt Geigen-Seerosenelfen-und-Zuckerwatten-klebrig-Bäh!“ Und obwohl seine Lunge vom vielen Laufen schon brannte, rannte er vor seinen Freunden durch das Fauchende Tor und die Magische Furt den ganzen langen Weg zurück. Erst in der Waldfriedhofstraße hielten sie an, und das Blut pochte so laut in ihren Ohren, dass sie das Saxofon gar nicht hörten. Sie sahen es nur. Das heißt, sie sahen mich, Marlon. Und ich trug die Kleider der Wölfe.

    Ich sah wie ein Wolf von Ragnarök aus, und ich spielte auf meinem Saxofon. Das hatte ich mir von zuhause geholt. Zuhaus aus dem Keller. Ich hatte seit Monaten nicht mehr geübt, und die ersten Töne, die ich gespielt hatte, klangen ganz schrecklich und fürchterlich schief. Doch da musste ich durch. Angst hat doch jeder, und jetzt floss der Blues aus dem Instrument. Die Melodie kam aus mir. Direkt aus dem Herzen, und sie sollte Vanessa meine Liebe beweisen. Vanessa und von mir aus der ganzen Welt.
    Und genau das fand Leon fürchterlich peinlich. Besonders als ich zu singen begann:
    „Vanessa! Oh, Vanessa!
    Ich vermiss’ dich, Vanessa!
    Ich brauch’ dich, Vanessa!
    Ich bitte dich, Vanessa!
    Vanessa! Oh, Vanessa!“
    „Ich halt es nicht aus! Dafür bring ihn um!“ Leon packte mit beiden Händen an seine Ohren. „Bitte sei still!“, bat er verzweifelt, doch ich spielte schon wieder Saxofon.
    „Das ist giftig und stinkt, Marlon!“, warnte mich Raban, ohne dass ich es hörte, und Markus wusste vor Scham nicht, wo er hinschauen sollte:
    „So etwas macht man doch nur im Dunkeln und das dann ganz heimlich.“
    „Nein, so was macht man auf gar keinen Fall!“ Maxi blitzte ihn an, und Nerv schickte ein Stoßgebet zum Himmel hinauf:
    „Liebespechschwefliges Rübenkraut. Lass ihn die zweite Strophe bitte, bitte, oh, bitte vergessen.“
    Doch das Gebet kam nicht an.
    „Ich klau dir die Schuhe von Franck Ribéry!“, sang ich und bereitete den Höhepunkt vor.
    „Ich fang dir das Lächeln von Schweinsteiger ein.
    Und lass es für dich die Welt verzaubern!“
    Da öffnete sich endlich das Fenster im ersten Stock, dort wo Vanessa

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