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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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viel besser. Ich fühlte mich stark und ging einfach los. Ich ließ Billi stehen. Ich ging den Hügel hinauf, und kurz vor der Kuppe, kurz bevor ich April entdeckte, die hinter ihr auf mich wartete, hörte ich seine letzte Warnung wie einen gut gemeinten Rat.
    „Also mach nicht denselben Heckmeck wie ich. Zieh nicht zwei Dutzend Mäntel an, um größer und mutiger auszusehen.“ Ich hörte, wie er dabei fast vergnügt lachte. „Sondern dings deine Angst. Ich mein, nimm sie in den Arm. Dings sie als Freund.“
    Ich drehte mich um. Ich schaute zurück, und ich sah Billi in Unterhosen durch den Teufelstopf tanzen.
    „Ja, das muss sie doch sein. Sonst gäbe es sie nicht. Sonst hätte nicht jeder so viel davon. Ja, Marlon, jeder hat Angst, und jeder hat Zweifel. Doch das macht einen keineswegs klein und schwach. Klein bleibt man nur, wenn man das alles verdingst, verflucht und verbängt, ich meine vergräbt. Wer heimlich Angst hat, der ist nur ein Feigling. Erkenn deine Schwächen, dann wirst du ganz groß.“
    Ich sah ihm noch zu. Es machte mir Spaß, und es schien mir, als würde er dabei immer mehr wachsen. Ja, Billi war plötzlich kein Penner mehr, und plötzlich stand April neben mir.
    „Kommst du jetzt mit?“, fragte sie und nahm meine Hand. „Kommst du endlich mit zu den Großen?“
    Sie zog mich vom Hügel hinunter zum Quad. Doch obwohl ich das wollte, obwohl mir gefiel, wie sie um mich kämpfte und obwohl ich mich schon als Wolfspieler sah, passierte doch etwas Seltsames. Je mehr wir zum Fuß des Hügels kamen, je kleiner begann ich mich zu fühlen. Verfuchst und verteufelt! Waren das etwa die Zweifel? Die Zweifel, die jeder hat, oder war es nur falsch? Machte ich einen Fehler? Machte ich einen riesigen Fehler, oder hatte ich einfach nur panische Angst? Panische Angst davor, dass sich etwas verändert und dass ich vielleicht nicht gut genug war.

WO BLEIBT MARLON?
    Als die Wilden Kerle am nächsten Morgen unter dem gerade knospenden Blätterdach des Flüsternden Riesen erwachten und sich lachend im Fluss die Ohren wuschen, bemerkten sie gar nicht, dass ich fehlte. Sie lachten und scherzten, kochten Kakao auf dem offenen Feuer und teilten danach das Müsli aus. Raban erzählte, dass er noch heute, gerade rechtzeitig vor dem Spiel, die Trikots bekäme, die ich entworfen hatte, da fiel sein Blick auf meine Tasse. Marlon, die Intuition stand auf dem nachtschwarzen Krug, doch Raban sah nur die runzlige Haut auf der unberührten Schokolade.
    „Hey, wo ist Marlon?“, rief er erschrocken, und mit diesem Schreck blitzte und flashte bei allen die Erinnerung auf.

    Leon erinnerte sich, wie er aufgewacht war. Wie er sich reckte und streckte und dabei mit der Hand über meinen leeren Schlafsack fuhr. Er erinnerte sich, wie er dabei kurz stutzte, als würde ihm kalt. Doch ich war der Frühaufsteher von uns. Deshalb ignorierte er das Kältegefühl und zeigte stattdessen lachend auf Nerv. Der Kleine, der als Letzter der Kerle immer noch schlief, war quer über die Plattform Richtung Baumstamm gerobbt und umarmte den mächtigen Stamm mit Armen und Beinen. Er presste die Wange an die runzlige Rinde, und als er den Mund zum Schnarchen öffnete, pflückte Leon eine Raupe vom Blatt und steckte sie ihm zwischen die Lippen.
    Nerv, der vielleicht von seinem Kopfkissen träumte, lutschte an ihr wie an einem Zipfel, bis sie in seinem Mund verschwand. Da war er hellwach. Die Augen hatte er aufgerissen, doch die Lippen presste er zusammen, als müsste er sterben, wenn er erfuhr, was da auf seiner Zunge kroch. Aber der Ekel war größer. Er hielt es nicht aus. Er spuckte die Raupe in seine Hände und würgte noch mehr, als er sie dann sah; speichelbeschmiert zwischen seinen feuchten Fingern. Er würgte so lang, bis er die anderen bemerkte. Die lachten sich tot, und Leon lachte am lautesten.
    „Marlon!“, rief Nerv. „Sag deinem Bruder das, was er sonst immer sagt. Ich bringe ihn um. Ich quäle ihn zuerst und bringe ihn um. Und wenn ich dann fertig bin, mach ich’s noch einmal.“
    Doch bevor er bemerkte, dass ich gar nicht da war, flog ein Rabe über Leon und kackte auf ihn. Der schleimige Batz traf ihn direkt auf der Nase. Das tröstete Nerv. Er prustete los, und er lachte sich mit den anderen tot, bis Leon den schleimigen Faden von seiner Nase klaubte und ihn in Julis Haare wischte.
    „Hey!“, rief der nur. Zu mehr kam er gar nicht. Denn Maxi hatte den Batz inzwischen aus Julis Haaren gezogen und ihn auf Rabans Brille

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