2020 - Die Lichtgestalt
er auf Dauer nicht ohne seine Leidenschaft, das Fußballspiel, existieren konnte. So explizit hatte er es ihr gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht, aber er vermutete, daß die Konfliktsituation für ihn nicht zu lösen war und er reagierte, wie er es bei Problemen stets tat, nämlich mit körperlicher Krankheit.
Maria war da!
Der nächste Angriff von Luna Levitator rollte. Sein Gegenspieler nutzte Falos Überraschung und dribbelte ihn mühelos aus, ließ ihn einfach stehen, lief mit dem Ball auf das Tor zu.
Maria hatte ein Fußballstadion betreten!
Falo setzte dem Stürmer vom Mond nach. Der Mann war schnell, aber für Falo schien die Schwerkraft in diesem Augenblick keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Seine Schritte waren leichtfüßig und raumgreifend, und nach zehn Metern hatte er den verlorenen Boden wieder gutgemacht.
Jeder andere Spieler hätte nun versucht, von der Seite in den Ball zu grätschen, doch Falo war so schnell, daß er auf das Foul verzichten konnte. Ein Blick über die Schulter, wie die anderen Spieler von Luna Levitator postiert waren. Seine Mannschaftskameraden hatten sie gut gedeckt.
Falo spürte die plötzliche Unsicherheit des Stürmers, der keine Anspielstation fand und sich gezwungen sah, ihn noch einmal zu umspielen.
Diesmal gelang es ihm nicht. Eine Fußbewegung, und Falo spitzelte den Ball zur Seite. Fünf Schritte, und er erreichte ihn, bevor er die Auslinie mit vollem Umfang umschritten hatte.
Falo mußte sich nicht noch einmal umsehen, er wußte, daß seine Teamkollegen blitzschnell von Abwehr auf Angriff umschalteten. Und er hatte Platz, konnte ungehindert fünfzehn, zwanzig Meter laufen. Ihm blieb Zeit genug für eine präzise Flanke quer über den Platz, die die entblößte Abwehr der Levitatoren vollends auseinanderriß.
Der Außenläufer ließ den Ball von der Brust abprallen, lief noch zwei, drei Schritte und zog eine Bananenflanke vors Tor, die die Abwehr der Levitatoren geradezu aufschnitt. Der Mittelstürmer mußte nur noch den Fuß hinhalten.
Maria war da!
Der Tunnel aus Formenergie, der Falos Sicht bislang eingeengt hatte, entfaltete sich. Plötzlich verstand er nicht mehr, wieso es ihm so schwer gefallen war, das Spiel zu deuten. Wie im Training ahnte er die Bewegungen von Gegner und Mitspieler gleichermaßen voraus. Er schirmte den Raum ab, spielte Pässe in die Tiefe des Raums, die zu fünfundneunzig Prozent ankamen, riß die gegnerische Abwehr ein ums andere Mal mit seinen schnellen Vorstößen auf.
Zur zweiten Halbzeit ließ der Levitator-Trainer seinen Gegenspieler draußen und ersetzte ihn durch einen Verteidiger.
In der zweiundachtzigsten Minute krönte Falo seine Leistung durch das Tor zum drei zu eins.
Nach dem Abpfiff schwenkten fünfzigtausend Zuschauer weiße Taschentücher, genau, wie Falo es sich bei seinem ersten Besuch im Magellan-Stadion erträumt hatte, damals, als kleiner Junge.
Und am Abend stimmten alle Trivid-Sportmagazine überein, an diesem Tag Zeuge von einhundert Minuten geworden zu sein, in denen die Geburt eines Jahrhundertspielers stattgefunden hatte.
Falo Gause ist zweifellos eine Ausnahmeerscheinung unter den Fußballern Terras. Sein Ballverständnis ist phänomenal. Er versteht es, ein Spiel zu lesen. Er ahnt die Bewegungen des Gegners stets um einen Schritt voraus. Noch nie im letzten Jahrtausend hat eine Mannschaft so schnell von Abwehr auf Angriff umgeschaltet, das Spiel verlangsamt und dann plötzlich wieder schnell gemacht, wie unter diesem Libero-Nachfolger. Gause scheint zu ahnen, wo die neun gegnerischen Feldspieler stehen, sieht immer die Lücke.
Doch noch beeindruckender ist seine Ballbehandlung. Wie er das Leder annimmt, wie er auf engstem Raum mit absoluter Sicherheit den Gegner ausdribbelt oder mit einer schlichten Drehung ins Leere laufen läßt und dabei der Ball an seinen Füßen klebt, er immer den entscheidenden Schritt schneller ist ... das ist die hohe Kunst des Fußballs in Reinkultur.
Ich wage es, mich weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich sage Falo Gause eine ähnliche Zukunft, eine ähnliche Bedeutung für diesen Sport voraus, wie sie Pele gehabt hat, der erste Allround-Könner mit perfekter Ballbeherrschung, oder Beckenbauer, der Begründer des modernen Fußballs und die Lichtgestalt dieses Sports im prägenden 20. Jahrhundert alter Zeitrechnung, an dem sich ein ganzer Sport über drei Jahrtausende hinweg messen lassen mußte, oder Hermelkamp, der explosive Stürmerstar der Luna Lunatics, der
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