2033 - Tod im Türkisozean
bei diesem Gedanken.
Aber war Paumyr nicht die gütige, allesumfassende Gottheit, die für sie sorgte und ihrem Leben einen Sinn gab?
Welchen Sinn? Ich liebe einen Wissenden, den ich nicht lieben darf. Weil Fischer und Wissende nicht zusammengehören. Weil Paumyr mich hierher gesetzt hat. Hierher, in dieses Boot, und nicht in die Höhlen der Unterweisung. Ist das gütig? Ist das gerecht? Werde ich je wieder glücklich sein?
Jamaske trat mit wütender Verbissenheit ins Rudergestänge.
In Fahrtrichtung, auf direkter Linie zu den Lagunen von Irb Sanclis, tauchte der ehrfurchtgebietende Körper eines tieffliegenden Wolkenwals auf. Seine gallertigen, durchsichtigen Schleppbarten hingen aus einer Höhe von etwa 30 Metern ins Meer und pumpten unablässig Plankton und kleinere Krustentiere nach oben. Die Rautak-Fischer konnten dem Wolkenwal direkt in seine drei gewaltigen Mägen sehen - die sich neben der durchscheinenden, gleichmäßig pulsierenden Auftriebsblase darüber dennoch verschwindend klein ausmachten. In den Mägen des Wolkenwals vermischten sich Blut und Verdauungssäfte mit den zuckenden Körpern der unzähligen Kleintiere zu drei dunklen Gewitterwolken am Silberschirm.
Ansonsten war der Wolkenwal gegen das silberne Hintergrundleuchten nur schwer auszumachen. Lediglich die Putzervögel, die zwischen den Höckern seines Rückens nisteten, verliehen dem majestätisch über den Wellen segelnden Wal eine gewisse Kontur. Sie umschwirrten den Wal, pickten da und dort in seine transparente Haut und stürzten sich immer wieder nach unten in die Fluten, um sich an den von den Schleppbarten aus den Tiefen des Meeres emporgerissenen Planktonschwärmen gütlich zu tun. „Ausweichen!" rief die Erste Fischerin Sarugrin von ihrem Hochsitz herab und deutete mohnseits.
Jamaske lehnte sich in die Rückenriemen ihres Schwanzruders und stemmte sich kräftig nach Mohn. Ingray, auch bei dieser Fangfahrt am Schwanzruder des anderen Kanus, tat es ihr gleich, und das Doppelrumpfboot schwenkte auf einen Kurs ein, der es in einem weiten Bogen um den fressenden Wolkenwal herumführen würde.
Wenn der Wal seine Mägen gefüllt hatte, würde er die Schleppbarten wieder einziehen und in einem komplizierten Verdauungsprozeß jene Gase erzeugen, die es ihm ermöglichten, wieder höher zu steigen, hoch in den Silberschirm hinauf, wo ihn die schnellen Stratosphärenwinde rasch davontragen würden. Schon jetzt konnte man sehen, wie sich die Auftriebsblase zunehmend ausdehnte, so daß sich der Wolkenwal nur noch durch das Gewicht des Meerwassers, das er mit den Kleintieren tonnenweise in die Höhe saugte, so tief über dem Türkisozean halten konnte.
Das Ausweichmanöver kostete Zeit, aber noch waren alle Fischer ausgeruht, und lediglich Jamaske fühlte sich weniger erholt, als sie das nach einer Schlafphase für gewöhnlich war.
Sie war so fahrig und unruhig wie noch nie in ihrem Leben, und ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Latruiz zurück, statt sich auf den bevorstehenden Fischzug einzustimmen.
Auf das Wittern der lautlosen, unsichtbaren Beute in der nassen Tiefe. Auf das Aufspüren und Stellen der Fischschwärme. Auf die Jagd von Element zu Element: Wir hier oben an der Luft.
Ihr dort unten im Wasser.
Jamaske hatte schon immer über eine Art inneren Flimmerkompaß verfügt, der sie befähigte, ertragreiche Fischgewässer auszumachen, wo andere nichts als ein unbelebtes, ruhig vor sich hin rauschendes Meer sahen. Das war auch der Grund, weshalb sie, trotz all ihrer Spottlust und Streitbarkeit, einen gewissen Rang in der Gruppe einnahm. Einen Rang, der sie wahrscheinlich irgendwann zur Nachfolgerin der Ersten Fischerin Sarugrin machen würde - sehr zur ständig gezeigten Verärgerung des alten Borphin.
Aber heute zeigte Jamaskes innerer Kompaß in keine fischreichen Fluten, sondern direkt in ihr eigenes, gequältes Herz. Jetzt, da sie wußte, daß der Mann ihrer Träume, daß Latruiz tatsächlich existierte, war ihr der Gedanke unerträglich, sich nie in Wirklichkeit mit ihm vereinigen, nie seine Partnerin werden zu können.
Beziehungen zwischen Fischern und Wissenden waren tabu. Auch Beziehungen zwischen Pflanzern und Wissenden waren tabu.
Unter den beiden arbeitenden Rautak-Ständen - den Fischern und den Pflanzern - waren Verbindungen freundschaftlicher oder gar amouröser Natur zwar ebenfalls selten; sie waren aber wenigstens nicht verboten.
Doch die Paumyr-Sprecher, deren Aufgabe war, Paumyr selbst in den Höhlen der
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