2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)

ethischer Hinsicht von der Bevormundung des Patienten ab- und zu einer am Konsumenten orientierten Dienstleistung hinwendet.
    Trends in der Medizin
    Technische Fortschritte wird es auch weiterhin geben, und zwei Bereiche entwickeln sich im Augenblick besonders dynamisch. Da ist zum einen die Nutzung von Stammzellen. Diese undifferenzierten, pluripotenten Zellen haben noch die Fähigkeit, sich in jeden der etwa 200 verschiedenen Zelltypen zu entwickeln, die den menschlichen Körper aufbauen; das heißt, dass sie verschiedene Gewebe bilden und so möglicherweise Schäden beheben können. Der andere Bereich betrifft genetisch maßgeschneiderte Präparate, die Gendefekte verändern oder kompensieren können. Auf beiden Gebieten sind in den kommenden 40 Jahren riesige Fortschritte zu erwarten.
    Eine Reihe von Infektionskrankheiten wird ausgerottet werden. Mögliche Kandidaten sind Kinderlähmung, Masern, Hirnhautentzündung, mehrere Wurmkrankheiten und möglicherweise auch AIDS. Gleichzeitig ist allerdings die Entstehung neuer Erregerstämme von Grippeviren zu erwarten sowie das Auftreten neuer, häufig aus Tierpopulationen übergesprungener, ansteckender Krankheiten. Die Zahl der Verkehrsunfälle wird zurückgehen; psychische Störungen und Fälle von Gewalt in der Familie werden dagegen zunehmen.
    In der Folge werden künftige Generationen durch Krankheiten stärker belastet werden. Die Industrienationen weisen den Weg, aber letztlich wird der Trend die ganze Welt erfassen. Die große Herausforderung der Zukunft werden chronische, auf die moderne Lebensweise zurückzuführende Erkrankungen wie Fettsucht, Diabetes und Alzheimer sein, die zunächst in den reichen, später in den weniger reichen und armen Ländern die Krankenstationen und Pflegeheime mehr als auslasten werden. Einige Länder mit einer besonders dynamischen Entwicklung werden sich möglicherweise mit Infektions- und chronischen Erkrankungen gleichzeitig auseinandersetzen müssen.
    Der Verschiebung in der Krankheitslast wird nur durch eine angepasste Behandlungspraxis zu begegnen sein. Traditionell ist die Behandlung auf episodische Erkrankungen wie Lungen- und Blinddarmentzündung zugeschnitten: Der Patient bemerkt Symptome, der Arzt stellt die Diagnose, behandelt die Krankheit und das war’s. Chronische Leiden erfordern einen anderen Ansatz. Hier muss die Versorgung über lange Zeiträume erfolgen; der Patient wird ständig begleitet – schon bevor er oder sie krank wird. Die Krankenkassen werden ihre Mitglieder dazu anhalten, ihre Gesundheit selbst zu überwachen und zu verwalten.
    Mit zunehmendem Wohlstand bekommen Menschen weniger Kinder, rauchen weniger, essen weniger Fett und haben mehr Freizeit. Auch dies führt zu einer Verschiebung der Krankheitslast – ebenso wie der Klimawandel, zuvorderst durch Wetterextreme, aber auch durch vermehrtes oder verändertes Auftreten von Krankheitsüberträgern, Überflutung von Küstengebieten und den daraus resultierenden Wanderungsbewegungen.
    Da die Medizin immer wirkungsvoller eingreifen kann, wird die Lebenserwartung rasch ansteigen – alle fünf Jahre um ein Jahr in den meisten Ländern. Im Jahr 2052 werden nur wenige Länder eine durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als 60 Jahren vorweisen und in vielen Staaten wird sie über 90 Jahren liegen. Ausnahmen bilden Länder, die stark durch AIDS betroffen sind, ehemalige kommunistische Staaten im Übergang und gescheiterte Staaten. Auch verheerende Grippeepidemien oder ähnliche Katastrophen können Länder hier zurückwerfen. Wo Fortschritte erzielt werden, sind sie in der Regel auf Verbesserungen bei der Ernährung, der Bildung, den Lebensumständen und der persönlichen Sicherheit zurückzuführen. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Gesundheit von Mutter und Kind sowie Impfprogramme.
    Im Großen und Ganzen werden wir also Fortschritte auf breiter Front erleben. Die Last chronischer Erkrankungen mit langer Behandlungsdauer wird der Einführung computergestützter Pflegeprogramme und von Überwachung den Weg ebnen. Automatische Sensoren und virtuelle Lifestyle-Trainer werden das Verhalten der Menschen ändern und die Behandlung von Krankheiten wie Diabetes steuern. Die Gesundheitsversorgung des Jahres 2052 wird von solchen Programmen bestimmt werden, wenn auch gegen starke Widerstände. Die Ärzte und das Pflegepersonal werden ihre berufliche Unabhängigkeit bedroht sehen und die Bürokratisierung der Medizin nach Kräften bekämpfen.