2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)
allwissenden, selbstbezogenen »rationalen« Automaten. Fairness zum Beispiel ist ebenso ein wichtiger Motivator menschlichen Verhaltens wie Selbstüberhöhung. Märkte sind nicht die Inkarnation von Effizienz und Gleichgewicht, wie sie als Fundament moderner Finanzpraxis und Finanzregulierung gerne dargestellt werden. Einkommensungerechtigkeit, die auch durch die Überhandnahme leistungsbezogener Vergütung (also Boni) vor allem im Finanzsektor befeuert wird, gilt heute als eine der wesentlichen Quellen der finanziellen Fragilität. 8 Man nehme nur das spektakuläre Wachstum der Derivatmärkte. Viele dachten, Derivate würden die immer komplexer werdenden Märkte stabilisieren. Tatsächlich aber haben die Derivate in der Krise die Risiken vergrößert. Andrew Haldane, Direktor für den Bereich finanzielle Stabilität der Bank of England, sagte, das Finanzsystem »erwies sich weder als selbstregulierend noch als selbstheilend. Ähnlich wie der Regenwald kann sich das Finanzsystem, sobald es einem großen Schock ausgesetzt wird, nicht erneuern«.
Diese inhärente Instabilität des Finanzsystems ist offensichtlich ein Problem. Noch schwerwiegender aus der Nachhaltigkeitsperspektive allerdings ist das Problem des »fehlenden Planeten«: das Verschwinden dessen, was man klassisch als »Land« bezeichnet hat und heute »Naturkapital« nennt. Die moderne Finanztheorie ignoriert die natürlichen Ressourcen und impliziert daher, dass der Strom der Ökosystemdienstleistungen unerschöpflich fließt und ebenso unerschöpflich das Wirtschaftswachstum antreibt. Naturkapital kommt weder in den Bilanzen der Unternehmen noch in denen der Volkswirtschaften vor. Daher sind die herkömmlichen Output- und Wachstumsprojektionen der Investoren einem wesentlichen Risiko ausgesetzt: dem Schock der Realität. Während man sich der Gefahr des Klimawandels seit langem bewusst ist, beginnt den Finanzmärkten eine weitere Einsicht erst langsam zu dämmern: Nur ein Bruchteil der derzeit noch hoch bewerteten Anlagegüter, Öl-, Gas- und Kohlereserven, kann tatsächlich ausgebeutet werden. Verglichen mit der andauernden (Fehl-)Allokation von Kapital in fossile Vorräte ist die Subprime-Blase nur eine Kleinigkeit. Was droht, sind verlorene Anlagewerte und weiter an Wert verlierende Rentenfonds. 9
Kurz: Die Finanzmärkte sind sowohl Motor als auch Bremse auf dem Weg der Nachhaltigkeit. Die kurzfristige Ausrichtung der Finanzwelt ist Legende. John Maynard Keynes erkannte schon 1936, dass »es der langfristige Anleger ist, der am stärksten im öffentliche Interesse handelt, der aber immer dann am meisten kritisiert wird, wenn Investmentfonds von Ausschüssen, Aufsichtsräten oder Banken verwaltet werden«. 10 Folglich, so Keynes, »ist es besser für den [eigenen] Ruf, konventionell zu scheitern, als unkonventionell Erfolg zu haben«. Das institutionelle und intellektuelle Beharrungsvermögen ist immens. Das verheißt nichts Gutes für den Wandel, der die Finanzmärkte schon lange vor 2052 zu einem der wichtigsten Motoren für eine nachhaltige Entwicklung machen würde – was ich glaube, dass geschehen wird.
Und doch bin ich zuversichtlich, dass sich die Finanzmärkte genau dorthin entwickeln. Warum?
Erstens: Eine wachsende Minderheit der Marktteilnehmer erkennt die Schwächen, die den allgemein akzeptierten Theorien des 20. Jahrhunderts innewohnen, und ergreift Veränderungsmaßnahmen. Von fast nichts im Jahr 2006 unterstützen heute Kapitalanlagen im Wert von mehr als 25 Billionen US-Dollar die Grundsätze für verantwortungsbewusstes Investment der Vereinten Nationen – (UN Principles for Responsible Investment – UN PRI) –, eine freiwillige Initiative, bei der sich die Unterzeichner verpflichten, ökologische, soziale und Governance-Faktoren in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen. Daten aus der Praxis belegen bereits, dass nachhaltige Investitionen eher risikoangepasste Renditen bringen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass viele institutionelle Anleger langfristig denken müssen, da sie Renten- und Versicherungsleistungen bis weit in die Zukunft kalkulieren. Aber der vorherrschende Fokus auf kurzfristige Profite hat diese strategische Perspektive verschleiert. Die zunehmende Selbstverpflichtung im Rahmen von Initiativen wie UN PRI ist dem Versagen der Finanzmärkte geschuldet, nach ihren eigenen Regeln erfolgreich zu sein. Unterstützt wurde dieser Aufstieg von der wachsenden Erkenntnis, dass die herkömmlichen Risikoanalysen
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