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2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)

2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)

Titel: 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorgen Randers
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insgesamt.
    Ökologische und ökonomische Systeme sind sich sehr ähnlich: In beiden Fällen ist es schwierig, die Zukunft vorherzusagen, weil alles in diesen Systemen mit allem anderen zusammenhängt. Außerdem gibt es in beiden zahlreiche interagierende Rückkopplungsschleifen – Ursache-Wirkungs-Kreisläufe, die gelegentlich zu unerwarteten Reaktionen führen. Manchmal geschieht eine Veränderung allmählich. In anderen Fällen löst ein scheinbar kleiner Auslöser eine große Reaktion aus, setzt unter Umständen gar eine unumkehrbare Veränderung größeren Umfangs in Gang.
    Im Jahr 2052 werden sich die Nordmeere mitten in einer solchen Übergangsphase befinden und niemand kann wirklich absehen, wie groß die Veränderungen sein werden. Biologische Systeme verhalten sich nicht linear, daher erfolgt die Reaktion eines Ökosystems auf eine Veränderung (beispielsweise der Temperatur) nicht unbedingt schrittweise und sie ist auch schwer vorherzusagen. Wenn ein bestimmter Punkt oder eine Schwelle überschritten wird, kann es zu plötzlichen, dramatischen und scheinbar chaotischen Veränderungen kommen durch Artenwanderungen oder Veränderungen in zentralen ökologischen Prozessen, die sich über Kettenreaktionen auf das gesamte System auswirken. Ein Nahrungsnetz ist eben genau das: ein Netz. So kann es vorkommen, dass Spezies B erhöhte Temperaturen gut verträgt. Wenn jedoch seine Beute, Spezies A, es nicht tut, kann es für Spezies B durch den Verlust von Spezies A zu einem wärmebedingten Kollaps kommen, was wiederum Auswirkungen auf Spezies C, D, E und andere haben kann. Man denke auch an weitere mögliche Rückkopplungen eines Temperaturanstiegs in den Ozeanen: Durch die kleineren Eis- und Schneeflächen wird mehr Wärme durch das Meerwasser absorbiert, Permafrostböden tauen auf und geben CO 2 und CH 4 frei, durch den höheren Säuregehalt der Ozeane wird die biologische CO 2 -Fixierung reduziert und vieles mehr. Es ist nicht absehbar, wohin das führen wird, aber von 2052 an stehen wir vor terra incognita, oder besser gesagt vor mare incognitum.
    Unausweichlich ist wohl, dass im Jahr 2052 die Wassertemperatur in der Nordsee um durchschnittlich 1,5 °C höher sein wird als heute. Das Oberflächenwasser kann im Sommer sogar 2 °C wärmer sein. Diese Tendenz wird sich bis in arktische Gewässer fortsetzen, die 2052 im Sommer vollständig eisfrei sein werden, und wo es im Sommer dadurch auch deutlich wärmer sein wird. Warum aber sollten Calanus – unser Phytoplankton fressender Ruderfußkrebs – und seine Kameraden darunter leiden, wenn sich die nördlichen Meere auf anscheinend angenehmere Temperaturen erwärmen? Bedeuten höhere Temperaturen nicht automatisch auch höhere Fruchtbarkeit?
    Nicht unbedingt. Zunächst einmal fühlen sich manche Tierarten bei niedrigen Temperaturen am wohlsten, weil sie durch die Evolution daran angepasst sind. Aber darüber hinaus können höhere Temperaturen bei Phytoplankton zu einigen überraschenden Nebeneffekten führen. Die Vermehrungsrate und Größe von Phytoplankton wird wahrscheinlich deutlich abnehmen , wenn sich die Ozeane erwärmen.
    Schuld daran ist vor allem die schnellere Erwärmung des nährstoffarmen Oberflächenwassers, das sich dann nicht mehr so leicht mit dem nährstoffreichen Wasser aus den tieferen Meeresbereichen vermischt, das Phytoplankton enthält. Somit bedeuten höhere Temperaturen weniger Nahrung für Calanus, weil weniger Phytoplankton ins Meerwasser an der Oberfläche gelangt, wo Calanus nach Nahrung sucht. Es bedeutet außerdem, dass die Nahrung kleiner wird. Kleinere Arten kommen besser als größere mit einem kargen Nahrungsangebot zurecht, und Zellen werden bei höheren Temperaturen eher kleiner. Calanus ist natürlich selbst schon klein, aber Algen sind noch kleiner, und kleinere Algen bedeuten kleinere Portionen für Calanus.
    Noch schlimmer könnte sich auswirken, dass der pH-Wert der arktischen Gewässer im Jahr 2052 von einem seit langer Zeit stabilen Niveau von 8,2 auf 7,9 gesunken sein wird. Dies ist eine schwerwiegende Veränderung. Krebstiere wie Calanus und andere schalenbildende Organismen, Pflanzen wie Tiere, werden unter diesen Bedingungen Probleme haben, ihr Ektoskelett auszubilden.
    Bisher waren meine Ausführungen ziemlich Calanus -lastig. Aber die Erwärmung der Arktis wird sich im Jahr 2052 über Kettenreaktionen auf das gesamte Ökosystem auswirken. Neue Arten werden auftreten, nicht nur neue Arten von Krebstieren und

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