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2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)

2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition)

Titel: 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorgen Randers
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Algen, sondern auch neue Fischarten. Die typischen Bewohner dieser Region wie Kabeljau, Makrele und Hering werden weiter nordwärts wandern. Eine ganze Reihe Bodenbewohner aus Flora und Fauna wird aus dem Süden einwandern und teilweise die alten Bewohner verdrängen. Manchen wird das nutzen, vielen schaden. Verschiedene Arten von Quallen werden sich auf Kosten von Fischarten ausbreiten.
    Und beinahe hätte ich die Vögel vergessen: Es werden wohl keine Alke oder Papageientaucher an der Westküste Norwegens mehr brüten. Im Jahr 2052 werden sie verschwunden und in nördlichere Regionen gezogen sein.
    Man könnte erwarten, dass durch das Abschmelzen des Polareises weite Gebiete nicht nur neu für Bohrungen nach Öl und Gas offen stehen, sondern auch für neues Leben im Meer. Leider ist diese Vorstellung nicht nur optimistisch, sondern schlichtweg naiv. Zunächst einmal sind die tiefen Meere nicht annähernd so fruchtbar wie die seichteren Gewässer und Küstenregionen. Außerdem wird das einzigartige Ökosystem unter dem Eis, das ein wichtiger Teil des Ökosystems der hocharktischen Meere ist, verschwunden sein. Unter den Eisschollen schwimmen im polaren Frühling grüne Teppiche aus Eisalgen, die reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und äußerst nahrhaft sind. Verwandte unseres Calanus werden den Höhepunkt ihres Fortpflanzungszyklus anpassen, um auf diesen schwimmenden Wiesen unter dem Eis zu weiden. Aber wenn das Eis früher im Jahr schmilzt, werden die Blütezeiten und die Paarungszeiten von Calanus immer weniger übereinstimmen. Und ein Mangel an Calanus bedeutet einen Mangel an einer wichtigen Nahrungsquelle für Fische, was wiederum Auswirkungen auf Seevögel, Seehunde, Eisbären und andere hat: eine weitere Kettenreaktion. Im Jahr 2052 werden nur noch kleine Reste dieses einzigartigen Nahrungsnetzes übrig sein.
    Aber das ist noch nicht alles. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts wird der Eisschild Grönlands immer weiter abschmelzen, was zu weiteren Unannehmlichkeiten führen wird. Das marine Förderband des Golfstroms wird zu einem großen Teil durch ein Gefälle im Salzgehalt des Meerwassers angetrieben, das je nach Salzgehalt eine unterschiedliche Dichte hat. Wenn der Zufluss an Süßwasser diesen Kreislauf nach 2052 unterbricht, wird alles Vorherige vergleichsweise harmlos wirken.
    Wenn das Schicksal es gut mit mir meint, werde ich die Welt von 2052 noch als sehr alter Mann erleben. Doch es wird mir auf meine alten Tage keine Befriedigung verschaffen zu sehen, dass ich und zahlreiche weitere Wissenschaftler mit unseren Bedenken, die wir lange vor dem Jahr 2000 vorgebracht haben, Recht hatten. Ich bin Biologe, und der Weg, den die Menschheit in den vergangenen 25 Jahren trotz deutlichster Warnungen eingeschlagen hat, lässt mich an der Vernunft der Menschen zweifeln. Genauer gesagt wundere ich mich darüber, dass anscheinend unser selbstsüchtiges, kurzsichtiges Streben nach maximalem persönlichen Besitz in der Gegenwart gesiegt hat über die rationale oder moralische Vernunft, durch die diese Krise hätte vermieden werden können.
    Glücklicherweise gibt es auch eine gute Nachricht: Wir werden, zumindest vor 2052, keinen Kollaps des Ökosystems erleben. (Kollaps des Ökosystems ist zwar ein verbreiteter Ausdruck, aber ich finde ihn unpassend, weil Ökosysteme sich zwar radikal und auf unangenehme Weise verändern können, aber niemals zusammenbrechen.) Das Leben auf unserem Planeten hat schon mehrmals am Abgrund gestanden, aber auch immer einen Weg gefunden, um zu überleben, auch wenn es immer nur ein kleiner Teil der Lebensformen geschafft hat. Bakterien, Algen und sogar Kakerlaken wird es wohl immer geben. Vermutlich wird Calanus irgendwo einen Lebensraum finden, um zu überleben, und auch Menschen sind ziemlich widerstandsfähig. Meine eigentliche Sorge gilt den selbstverstärkenden Rückkopplungseffekten, die möglicherweise bereits eingesetzt haben. Im Jahr 2052 wird auf jeden Fall auch den hartnäckigsten Optimisten klar sein, dass die Menschheit vor ernsthaften Herausforderungen steht. Aber wir werden wohl trotzdem in gesellschaftlicher, technischer und psychologischer Hinsicht auf unseren eingefahrenen Bahnen bleiben und weitermachen wie bisher.
    Vielleicht werde ich im Jahr 2052 froh darüber sein, dass meine Zeit auf Erden bald vorbei sein wird. Aber beim Anblick meiner Enkel, die im Garten spielen, wird mich dieser Gedanke allein nicht trösten können.
    Dag O. Hessen

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