2066 - Der Thronfolger
ist, sind uns die Hände gebunden. Ich bin sicher, dass du auch schon daran gedacht hast. Ich habe die Archive durchstöbert und nach Präzedenzfällen gesucht, aus denen ich etwas ableiten kann.
Leider habe ich nichts gefunden, was mir schlüssige Hinweise geben könnte. Gosner, meine liebe Mutter, ich muss Schluss machen. Bis zum nächsten Mal. Wie immer - deine Marchany."
Marchany da Camqoa hatte gerade noch Zeit, einige dringende Aufgaben in ihrem Büro zu erledigen, als auch schon Sargor da Progeron zu ihr kam und sich zu ihr setzte. Die Journalistin bot dem Geheimdienstchef Kleinigkeiten zu essen und trinken an, doch er reagierte nicht darauf und tat, als habe er es nicht gehört. Sie empfand sein Verhalten als grob unhöflich und diffamierend. Er fühlte sich in seiner Position offenbar unangreifbar und über alle Konventionen erhaben. „Was kann ich für dich tun?" fragte sie irritiert. Marchany hatte Mühe, sich ihre Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Sie sah sich als freie und unabhängige Journalistin und keineswegs als eine seiner Befehlsempfängerinnen.
Sargors volles, weiches Gesicht blieb unbewegt wie immer. Mit einer seltsam anmutenden Geste strich er sich das weiche, schüttere Haar aus der Stirn. Es schien, als sei er tief in Gedanken versunken. „Du besuchst deine Mutter oft", stellte er fest und überraschte sie mit einem Thema, mit dem sie auf keinen Fall gerechnet hatte. „Ist das verboten?" Ihre Stimme klang ein wenig schrill. „Deine Geschwister lassen sich nie bei ihr sehen. Mit ihnen redest du kaum einmal, und wenn du sie bittest, die Mutter zu besuchen, grinsen sie nur." Marchany beschloss, nicht zu antworten und schweigend abzuwarten. Ihre privaten Angelegenheiten gingen ihn nichts an. Es war richtig. Sie hatte ihre Mutter belogen. Marka und Mispra dachten nicht einmal daran, sich bei ihr blicken zu lassen. „Du erzählst deiner Mutter viel. Zu viel."
„Sie kann nicht reden. Sie kann sich niemandem mitteilen", platzte es aus ihr heraus. „Und Staatsgeheimnisse waren es ja wohl nicht."
„Der Khasurnmeister des Imperiums und die führenden Persönlichkeiten des Adels werden sich noch im Verlauf des heutigen Tages auf einen neuen Imperator einigen. Sie gehen an die Sache mit einer ungewöhnlichen Geschwindigkeit heran, weil es dringend ist." Er wechselte übergangslos das Thema und tat, als habe er ihren Einwand nicht gehört. Sie hasste ihn für die überhebliche Art, in der er sie behandelte. Ohne es auszusprechen, unterstrich Sargor mit dieser Bemerkung, dass er dem Hohen Adel angehörte, sie aber nicht. Er verstand es, den Standesunterschied deutlich zu machen und sie damit empfindlich zu treffen.
So war noch niemand mit ihr umgesprungen. Marchany schwor sich, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um ihren gesellschaftlichen Rang zu verbessern. Zugleich nahm sie sich vor, den Geheimdienstler bei passender Gelegenheit zu attackieren. Wenn sie vorläufig darauf verzichtete, dann nur, weil er die Nachfolge Bostichs und damit genau die Frage angesprochen hatte, mit der sie sich intensiv beschäftigte. Sie war überrascht. Normal wäre eine wochenlange Staatstrauer angezeigt gewesen. Sie stand einem verstorbenen Imperator zu. Doch nun sollte sie offensichtlich ausfallen. Man gönnte Bostich I. noch nicht einmal einen Tag! „Warum erzählst du mir das?" fragte sie. „Weil ich will, dass du die weitere Entwicklung mit deinem Team verfolgst. Schritt für Schritt wirst du dokumentieren, was geschieht und wie der neue Imperator ausgewählt wird."
„Das ist eine Frage des Honorars!" Ihre Stimme klang eisig. „Kein Problem. Das wird geregelt." Sargor blickte sie an, und seine Augen verengten sich ein wenig. Seine Lippen wirkten wächsern. „Du lässt alles stehen und liegen und fängst sofort an. Die Zeit drängt.
Deshalb bin ich selbst gekommen und habe es keinem anderen überlassen, dir den Auftrag zu übermitteln. Das Huhany'Tussan muss diese Krise so rasch und unbeschadet hinter sich bringen wie nur irgend möglich."
Die Journalistin erhob sich. Sie hatte verstanden. Wenn sie mit ihrem Team bei allen Versammlungen dabei war, hatte es jede der beteiligten Parteien schwer, Intrigen zu spinnen und das eigene Süppchen zu kochen. Aus dem gleichen Grund wollte Sargor da Progeron das Problem schnell lösen. Niemandem sollte die Zeit gewährt werden, eigene Konstruktionen aufzubauen und die Entscheidung hinauszuschleppen.
Sargor da Progeron mobilisierte seine ganze Macht, um
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