207 - Weg eines Gottes
Sie eilten aus dem Versammlungshaus, um die Nachricht auch unter ihre Familien zu bringen.
Habib hing längst wieder am Radio des Kamas-Trucks. Poulain und Abdelkrim ibn Ziyad gesellten sich dazu. Zu dritt saßen sie im Führerhaus und hörten Radio Medi-Tanger. Das Programm, wie alle anderen auch, wurde ausschließlich von der Ankunft des Kometen beherrscht. Es gab Reportagen über schwere Plünderungen und Ausschreitungen in den großen Städten. Die Polizeigewalt existierte nicht mehr, die Regierungsangehörigen waren gerade dabei, in unterirdischen Bunkern zu verschwinden. Verschiedene Sekten versuchten, Menschen zu ihrem Glauben zu bekehren, und versprachen ihnen dafür das Überleben. Eine um den nordischen Gott Wotan hatte in den letzten Monaten weltweit großen Zulauf erfahren.
Poulains Gedanken schweiften zurück zum November 2011. Da hatte er zum dritten Mal in Folge die Rallye Paris-Dakar gewonnen, zum zweiten Mal auf dem Kamas-Truck, in dem sie gerade saßen. Sein erster Triumph war dagegen auf einem Motorrad zustande gekommen. Die KTM stand direkt hinter ihnen unter der Plane auf der Ladefläche des Trucks.
Nach der Rallye hatte die Poulains nichts mehr im senegalesischen Mekhe gehalten, wo sie zwei Jahre lang gewohnt hatten. Schon im November war die Sicherheitslage derart bedenklich gewesen, dass Poulain mit seiner Familie der Einladung seines Freundes Abdelkrim ibn Ziyad in die Einsamkeit der Rif-Berge gefolgt war. Der Harat-Führer, ein großer Fan der Rallye, hatte ihm vor zwei Jahren in der Nähe des Lac Rosé nach einer Motorrad-Panne das Leben gerettet, als ihn ein aufkommender Sandsturm überrascht hatte. Seither waren sie Freunde, und Poulain hatte dem Rifkabylen versprochen, ihn bei der Rallye 2012 als Beifahrer mitzunehmen. Er war todsicher, dieses Versprechen einhalten zu können.
Hier im Dorf herrschte zwar gepflegte Langeweile, aber sie hielten es aus. Immerhin waren sie unter Freunden. Was Poulain von seiner französischen Heimatstadt Nantes nicht behaupten konnte. Trotz offizieller Beendigung der Religionskriege lebten Muslime in einigen Gegenden Westeuropas nach wie vor sehr gefährlich. Und konvertierte Muslime, wie Poulain einer war, gleich doppelt, da sie als Verräter und radikale Fundamentalisten angesehen wurden. Nantes gehörte zweifellos zu diesen gefährlichen Regionen, weswegen Poulain mit Medior in deren Heimatstadt Mekhe umgezogen war.
Im Radio wurde vermeldet, dass es nahe der ruandischen Hauptstadt Kigali ein Massaker an weißen UNO-Soldaten und Mitgliedern von Hilfsorganisationen gegeben hatte. Siebenunddreißig Männer, Frauen und Kinder waren von einem schwarzen Mob mit Macheten regelrecht zerhackt worden.
Poulain seufzte leise. Schon seit vielen Monaten schlug Weißen vor allem in den schwarzafrikanischen Ländern unverhohlener Hass entgegen. Sie dienten den Einheimischen als Sündenböcke für die Politik der westlichen Industrienationen. Die hatten in den vergangenen Jahren unter dem Siegel der Wohltätigkeit viele schwarzafrikanische Länder so lange mit ihren Produktionsüberschüssen zugeworfen und die afrikanischen Küsten leer gefischt, dass Millionen Bauern und Fischer ihre Existenz verloren hatten. Das hatte in Ruanda den Konflikt zwischen Hutu und Tutsi derart verschärft, dass die UNO zwanzigtausend Soldaten zu deren Befriedung geschickt hatte.
Die meisten weißen UNO-Soldaten waren im Angesicht des Kometeneinschlags längst wieder weg, viele desertiert. Auch viele Angehörige der Hilfsorganisationen hatten sich angeschlossen. Die, die geblieben waren, mussten es nun büßen.
Ganz kurz dachte er an Paul Bizimungu, den Präsidenten Ruandas, der vor zwei Monaten in Ruhengeri, am Fuße der Virunga-Vulkane, ermordet worden war. Poulain hatte Bizimungu vor zwei Jahren beim Finale der Rallye in Dakar die Hand geschüttelt. Der allzeit fröhliche Mann war ein Segen für Ruanda gewesen. Er hatte in Berlin studiert und war nach den Wirren eines Putsches an die Macht gespült worden.
Bizimungu hatte versucht, Ruanda wirtschaftlich unabhängiger von den Industrienationen zu machen. Mit einem allzeit offenen Ohr für erneuerbare Energien hatte er der Uni Berlin erlaubt, in den Virunga-Vulkanen eine riesige Versuchsanlage zu bauen. Die benutzte eine neuartige Technologie zur Eisenverhüttung, indem sie Magma als Energiequelle benutzte. Gleichzeitig hatte Bizimungu darauf geachtet, dass das Reich der letzten Berggorillas an den Hängen der Vulkane durch diese
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