207 - Weg eines Gottes
Scheinwerfer geblendet, hatten sie nicht rechtzeitig bemerkt, was im Truck passierte.
Die Männer gingen zu Boden. Der dritte warf sich hinter einem Felsen in Deckung. Gleichzeitig beschleunigte Poulain den Kamas. Der Motor brüllte auf. Es hoppelte kurz, als er über die beiden Körper fuhr. Mit steigender Beschleunigung rollte der Truck auf das Autowrack zu. Kugeln pfiffen. Sie bohrten sich in die Seitentür und prallten am bruchsicheren Kunststoffglas ab.
»Das hättest du nicht gedacht, du Arschloch, was?!«, brüllte Poulain. Dann knallte der Truck auch schon in das Wrack. Es knirschte und kreischte, als er es seitlich von der Straße schob. Einen Moment stockte die Aktion. Der Kamas schien sich zu verkeilen. »Komm schon«, knirschte Poulain, »komm schon.« Ein Ruck nach vorne, dann verschwand das Wrack irgendwo in einem finsteren Abgrund. Der Weg war wieder frei. Die Schüsse, die der Straßenräuber ihnen nachsandte, erwiesen sich als harmlos.
Die Spannung löste sich. Medior begann leise zu schluchzen. Habib umarmte sie. »Was hast du denn, Mama?«
»Ich… ich habe zwei Menschen getötet«, erwiderte sie leise und wischte sich die Tränen ab.
»Wenn du’s nicht getan hättest, hätten die uns erledigt«, sagte Habib und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Das ist wie in meinen Computerspielen. Du hast uns nur verteidigt. Und Papa auch.«
»Der Junge hat Recht«, sagte Poulain, dessen Arme zitterten. »Die oder wir.«
»Ja. Es… es ist trotzdem furchtbar, Menschen töten zu müssen. Allah möge mir vergeben.«
»Er vergibt dir schon. Wenn nicht, bekommt er es mit mir zu tun.«
Wider Willen musste Medior lächeln. Sie strich ihrem Sohn über den Kopf. »Danke, Kleiner. Du hast die richtigen Worte gefunden. Ich bin schon halb getröstet. Aber eins sage ich euch: Wenn ihr weiterhin so fürchterliche Worte wie Arschloch und erledigen benutzt, dann bekommt ihr es mit mir zu tun. Ich mag das nicht.«
Im Laufe des Tages lenkte Poulain den Truck über mehrere Geröllfelder. Einmal hatte er solche Schlagseite, dass sie befürchteten, jeden Moment zu kippen. Aber der Franzose erwies sich auch hier als Meister seines Fachs. »Wir kommen gut voran«, sagte er zufrieden. »Wenn es so weiter geht, werden wir in spätestens drei Wochen Mekhe erreichen.«
Sein Optimismus erwies sich als reichlich verfrüht. Etwa zwanzig Kilometer vor Er Rachidia stießen sie zuerst auf einige tote Kamele, an denen sich Aasvögel gütlich taten, und dann auf eine mächtige Erdspalte, die in westöstlicher Richtung verlief. Poulain fror sich fast die Finger ab, als er die Spalte per Scheinwerfer und Taschenlampe untersuchte.
»Mist«, sagte er, als er wieder in der mittlerweile stark geheizten Fahrerkabine saß. »Ich schätze, dass das Loch mindestens zwanzig Meter breit ist. Und so tief, dass ich den Grund nicht erkennen kann. Da kommen wir unmöglich rüber. Wir müssen an der Spalte entlang, bis sie aufhört. Nach Westen oder Osten?«
Sie entschieden sich für Osten, weil dort die Gegend nicht mehr so bergig war. Als sie ungefähr zwei Kilometer am Spalt entlang gefahren waren, begann es zu schneien. Sanfte Flocken fielen, die allerdings nicht liegen blieben.
Spät am Abend erreichten sie die ersten Sandwüstenausläufer. Noch immer nahm die Erdspalte kein Ende. Poulain wollte sich lieber gar nicht erst vorstellen, welche Kräfte hier am Werk gewesen waren. Am Fuß einer großen Düne schlugen sie ihr Nachtlager auf. Es schneite noch immer.
Habib beobachtete fasziniert die Flocken. Und sah im Gestöber plötzlich ein intensives grünliches Leuchten. »Papa, Papa, was ist das da drüben?«
Seine Eltern waren mindestens ebenso fasziniert wie er. »Es leuchtet wie ein Edelstein«, sagte Medior, deren Zähne noch immer klapperten, obwohl sie in fünf Schichten Textil steckte.
Sie gingen vorsichtig hinüber, das Gewehr im Anschlag. Im Sand steckte ein riesiger, etwa ein Meter großer Kristall, der in der Mitte zu gut zwei Dritteln gespalten war und wie ein kleiner Hundekopf mit riesigen, eng aneinander liegenden Ohren wirkte. Das sah jedenfalls Habib in ihm. Rund um den Kristall lagen Dutzende von toten Skorpionen in teilweise grotesk verrenkten Haltungen. Zwei schien der Tod im Ringkampf ereilt zu haben. Ein dritter hatte sich mit dem eigenen Stachel exekutiert. Er steckte knapp hinter seinem Kopf im Nacken. Sieben Exemplare waren über eine Sandviper hergefallen und hatten sie getötet. Aus dem weit aufgerissenen Maul der
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