2077 - Die Dunkle Null
war er nicht gewesen, daß er auf Sechsdimensionales hatte ausweichen müssen." Im matten Schein der gedämpften Beleuchtung meiner Kabine schien der goldbraune Cognac im bauchigen Schwenker aufzuglühen. Sanftes Pochen ging vom Zellaktivator aus; ich war kaum müde und genoß um so mehr den Schlummertrunk. Schlieren hochprozentigen Alkohols schimmerten an der Glaswandung. Aus den Akustikfeldern drang Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, Köchelverzeichnis 550, Sinfonie in g-Moll.
Der Sessel knirschte verhalten, als ich mich zurücklehnte, Mozarts Werk lauschte, vereinzelt am Inhalt des Schwenkers nippte und meinen Gedanken weiter nachhing. Man war gefangen in der Praxis der „Dimensionenleiter", beobachtete Einzelphänomene und konnte sie nicht exakt einordnen, weil der theoretische Überbau fehlte. Mathematisch war es kein Problem, mit fünf-, sechs-, sieben-, elf-, sechsundzwanzig oder ndimensionalen Algorithmen zu rechnen. Die Frage war, welche praktische Bedeutung das alles hatte. „Waringer, sonst für gewagte Theorien bekannt, hatte im Gegensatz zu Kalup hinsichtlich der Fünf-D-Sechs-D-Kontroverse den konservativen Standpunkt vertreten", sagte ich halblaut. „Aus Waringers Jugend stammen jedoch einige als bahnbrechend bezeichnete Veröffentlichungen, die zunächst allerdings unter dem Pseudonym Schneider Eingang in die wissenschaftliche Literatur gefunden haben."
Ich lächelte versonnen. Daß die Wahl des Namens Schneider mit Blick auf das Grimm-Märchen vom „Tapferen Schneiderlein" erfolgte, war später eine vielkolportierte Anekdote gewesen, wurde allerdings von Waringer niemals bestätigt oder überhaupt kommentiert.
Tatsache war aber, daß schon nach der Veröffentlichung des ersten Beitrags am 18. Juli 2432 unter den Wissenschaftlern eine rege Diskussion begann, wie die Regeln der „Schneiderschen Mechanik" auszulegen seien, die sich vor allem mit höchstfrequenten, mehr oder minder „psionischen" Bereichen des hyperenergetischen Spektrums befaßte.
Ein zweiter Beitrag der Schneidersehen Mechanik - NATHANexamine PeRh368 - war die sogenannte Dimensionsgitterkonstante gewesen, die dem Standarduniversum den Wert eins zuwies. Es war unschwer zu erkennen, daß sich Payne Hamiller davon hatte inspirieren lassen: Er führte die Theorie der parallelen Universen fort und stieß bei seinen Berechnungen auf eine zunächst unerklärliche Variable, die offenbar für die Beschreibung eines fünfdimensionalen Objektes benötigt wurde, weil ohne sie die Beschreibung unvollständig blieb.
Das von ihm entwickelte „Relationenmodell der Kontinua" war stets von anderen, jedoch niemals von ihm selbst „Hamillersche Algebra" genannt worden. Er hatte den Zustand eines hyperenergetischen Feldes mit einer Gruppe von sechzehn nichtlinearen Differentialgleichungen beschrieben, die für jeden Lösungsfall mindestens 32, jedoch nicht mehr als 2048 voneinander unabhängige Lösungen erbrachten.
Schon Hamiller vermutete allerdings, daß es in Wirklichkeit eine weitaus höhere Zahl an Lösungen gab, als er zunächst geglaubt hatte womöglich 4096 oder 8192.
Schwierigkeiten bereitete ihm das Verhalten besonders einer Variablen, die sowohl die Zahl als auch die Aussagekraft der Lösungen in unvorhersehbarer Weise beeinflußte. Hamiller hatte das Verhalten dieser Variablen als symodal bezeichnet, weil sie „mit zur Verhaltensweise des Lösungsausgangs" beitrug. Sie ergab sich aus der Hamillerschen Algebra sozusagen von selbst und nahm verschiedene Werte an, allerdings Null, wenn sie auf das Standarduniversum bezogen wurde. Dem Phänomen, das die Variable beschrieb, gab Hamiller den Namen Fremdartigkeit - Strangeness.
Aufgrund seiner Rechnungen erkannte er, daß mit der Strangeness-Variablen angegeben wurde, ob ein Objekt aus diesem oder einem anderen Universum stammte.
Der Minimalwert Null kennzeichnete hierbei die Tatsache, daß Objekt und Beobachter aus demselben Universum stammten, für den Höchstwert eins wurde angenommen, daß das Objekt aus dem vom Beobachter am weitesten entfernten Universum kam.
Inzwischen war die hyperphysikalische Unschärfebeziehung ausformuliert worden, von einigen Theoretikern auch „Hamillersche Unschärfe" genannt, da es in gewisser Weise die Quantelung der Strangeness war. Sie besagte, daß zu einem beliebig gewählten Zeitpunkt nicht mit Bestimmtheit ausgesagt werden konnte, zu welchem Universum genau ein bestimmtes Objekt gehörte, sofern es sich hierbei um eine Gruppe dicht benachbarter
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