2084 - Noras Welt (German Edition)

oder vom Aussterben bedroht. Unter vom Aussterben bedroht war zu verstehen, dass ein »extremes Risiko« bestand, dass die Art im Laufe weniger Jahrzehnte aussterben würde; stark gefährdet war eine Art, wenn das Risiko, dass sie ausstarb, nur »sehr hoch« war. Na, vielen Dank auch für das nur sehr hoch !
    Sie klickte verschiedene Filme an und sah dieselben Bilder, die sie in der umgestülpten Welt auf dem großen Bildschirm an der Zimmerdecke gesehen hatte. Nur waren es dort, wenige Jahrzehnte in der Zukunft, Bilder von unwiderruflich ausgelöschten Arten. Noch war die Lage nicht so hoffnungslos. Noch lebten einige der gezeigten Tiere in der freien Natur, in vereinzelten Populationen an wenigen Orten, an denen sich ihre urspünglichen Lebensbedingungen erhalten hatten.
    Zugleich waren die Menschen zu den am weitesten verbreiteten Säugetieren auf der Erde geworden. Inzwischen lebten von keiner anderen Säugetierart so viele Exemplare auf der Erde wie vom Homo sapiens – und natürlich hing das eine mit dem anderen zusammen, denn es war gerade der Mensch, der seine engsten Verwandten auszurotten drohte, nicht nur, weil er Wälder abholzte und Lebensräume zerstörte, sondern auch durch Wilderei und illegalen Fang.
    Schließlich warf sie noch einen Blick auf einige große Raubtiere. Viele dieser Arten waren genauso gefährdet wie die Menschenaffen. Im Laufe der vergangenen hundert Jahre hatten etwa die Tiger 93 Prozent ihres einstigen Verbreitungsgebietes verloren. Und natürlich waren nicht nur Menschenaffen und große Raubtiere vom Rückgang der biologischen Vielfalt betroffen. Tausende, vermutlich sogar Hunderttausende von Tier- und Pflanzenarten waren bedroht, weil ganze Ökosysteme durch von Menschen verursachte Klimaveränderungen schrumpften oder unbewohnbar gemacht wurden.
    Wieder warf Nora einen Blick auf den roten Rubin. Seit es den Ring gab, hatte eine dramatische Entzauberung der Natur stattgefunden. Und wie würde es wohl in hundert Jahren auf der Erde aussehen?
     
    Nora hatte ihr anderes Geburtstagsgeschenk fast vergessen, aber jetzt nahm sie ihr neues Smartphone vom Nachttisch und schaltete es ein. Sie hatte eine SMS erhalten, die allererste auf dem neuen Handy, und natürlich kam sie von Jonas:
    Bist du wach, Nora? Rufst du an?
    Sie hatte sofort ein schlechtes Gewissen, dass sie ihn nicht, wie versprochen, gleich nach dem Aufwachen angerufen hatte, aber sie antwortete:
    Bin gerade beschäftigt. Mit etwas Großem, etwas von kosmischer Bedeutung. Aber ich rufe bald an.
    Schon nach wenigen Sekunden kam die Antwort:
    OK . Lass dir Zeit. Von kosmischer Bedeutung – bin gespannt.
     
    Das Smartphone hatte bereits mehrere Apps von Online-Zeitungen und anderen Medien. In einer der Zeitungs-Apps fand sie die Schlagzeile WEITERHIN VERMISST .
     
Ester Antonsen (s. Foto) wird noch immer als Geisel in Somalia festgehalten. Als Begleiterin eines großen Lebensmitteltransports verließ die Norwegerin Ester Antonsen gestern Morgen den internationalen Flughafen von Mogadischu. Zusammen mit einem amerikanischen und einem ägyptischen Entwicklungshelfer begleitete sie fünf mit Proviant beladene und von einheimischen Fahrern gelenkte LKW . Alle drei Mitarbeiter des Welternährungsprogramms befinden sich in der Hand von Geiselnehmern … Die Hungersnot am Horn von Afrika ist seit der Dürrekatastrophe des vergangenen Jahres besonders groß. Tausende von Menschen sind verhungert, und eine große Anzahl Flüchtlinge versucht, sich aus den von der Dürre betroffenen Gebieten zu retten … Zweifellos hat das Leiden der Bevölkerung in diesen Gebieten auch politische Gründe, aber die Klimaforscher schließen nicht mehr aus, dass Naturkatastrophen wie die am Horn von Afrika durch von Menschen geschaffene Klimaveränderungen verursacht werden …
     
    Nora betrachtete das Bild der vermissten Norwegerin. Sie mochte um die dreißig sein. Aber wo hatte Nora sie schon mal gesehen? War sie ihr nicht schon irgendwo begegnet? War sie die Vertretungslehrerin, die sie in der zehnten Klasse gehabt hatten? Oder hatte sie auch von ihr nur geträumt?
    Tatsächlich war es schon vorgekommen, dass Nora jemanden kennenlernte, dem sie noch nie begegnet war, von dem sie aber ganz bestimmt schon einmal geträumt zu haben glaubte. Inzwischen wusste sie, dass sie das solchen Bekanntschaften gegenüber besser nicht zu früh erwähnte. »Wie witzig, dich kennenzulernen, ich hab nämlich schon mal von dir geträumt!« – Mit so etwas platzte