2084 - Noras Welt (German Edition)
Territorium zu erschließen und zu verbrennen. Nur: Warum sollte es dann nicht das selbstverständliche Recht der Regenwaldnationen sein, mit ihren Regenwäldern zu tun und zu lassen, was sie wollen? Wo ist der Unterschied? Wo ist der Unterschied zur globalen Kohlendioxid-Bilanz? Und wo ist der Unterschied zum Verlust der biologischen Vielfalt?
Nora ging zum Fenster und schaute hinunter auf die geschäftige Tankstelle. Zum ersten Mal ging ihr auf, dass die wie ein lebendes Fossil aussah: so unmodern und altertümlich, als stammte sie aus einer anderen Zeit – und dennoch war sie weiterhin voll in Betrieb!
Dann fiel ihr noch ein Detail aus ihrem Traum ein …
DER REGENSCHIRM
Es gießt immer noch in Strömen, als sie unter einem roten Regenschirm den Hang unterhalb des Hauses hinuntergeht. Der Regenschirm ist so groß, dass ein ganzer Kindergarten darunter Zuflucht fände. An den Hängen am anderen Flussufer kann man die Folgen zahlreicher Erdrutsche erkennen. Wo die weiter nach oben verlegte Hauptstraße verläuft, lässt sich nur noch ahnen.
Sie geht hinunter zur Kreuzung, wo früher einmal eine Tankstelle stand. Jetzt ist dort eine Art Karawanserei eingerichtet worden. Hier legen die arabischen Flüchtlinge eine Pause ein, ehe sie durchs Gebirge weiterziehen. Die Dromedare bekommen Wasser, und die Menschen essen und ruhen sich aus. In der Senke oberhalb des Flusses lodert ein großes Feuer, an dem sich eine größere Gruppe Menschen wärmt.
Sie spaziert mit ihrem großen roten Regenschirm mitten in diese Gruppe hinein. Es sind Frauen in knöchellangen schwarzen Gewändern und Männer in ebenso langen weißen Kaftanen. Nur sie hat einen Regenschirm, der so nass ist, dass viele ihr ausweichen. Ein paar treten aber auch zu ihr unter das rote Dach, um sie zu begrüßen. Die Kinder brauchen dabei nicht einmal den Kopf einzuziehen. Nova blickt in viele interessante Gesichter.
Die Menschen sind fröhlich und lachen. Ein Mann jongliert mit alten Öllampen, und die Frauen und Kinder klatschen in die Hände. Leute aus dem Dorf verkaufen Lammspieße und heiße Getränke. Andere verkaufen Regenkleidung und Wolldecken. Bezahlt wird mit Goldmünzen.
Außerhalb der Menschengruppe liegt ein Junge im Gras, und Nova fragt eine der Frauen in Schwarz, ob er krank ist. Die Frau macht ein besorgtes Gesicht. Sie nickt. »Long journey« , sagt sie.
Nova geht zu dem Jungen im Gras und hält den roten Regenschirm über ihn; er soll nicht auch noch bis auf die Haut nass werden. Zwei der schwarz gekleideten Frauen sind ihr gefolgt. Nova zeigt auf ihr Haus und sagt, der Junge könne dort schlafen.
Der Junge klettert, gestützt von den beiden Frauen, hinter ihr den Hang hinauf. In der Tür wartet schon Uma, und Nova erklärt ihr, dass der Junge krank ist. Er muss bei ihnen wohnen, bis er wieder gesund ist. Sie legen ihn ins Kissenzimmer. Vielleicht müssen sie einen Arzt rufen, vermutlich braucht der Junge Medizin.
ÖL
Unten fuhren immer neue Autos auf den Parkplatz der Tankstelle, und die meisten Fahrer ließen den Motor laufen, während sie drinnen Würstchen und Kartoffelchips kauften. Nora ärgerte sich über die Auspuffgase, die aus den stehenden Wagen quollen. Würstchenautos, dachte sie. Die blaugrauen Schwaden waren besonders deutlich zu sehen, weil es etliche Grade unter null war, vielleicht zehn oder zwölf. Sie hatte kein Thermometer vor dem Fenster, aber sie beherrschte inzwischen die Kunst, im Winter an der Farbe und Dichte der Auspuffgase abzulesen, wie kalt es war.
Sie blieb vor dem Fenster stehen und dachte daran, was sie erst neulich über Öl gelesen hatte. Sie hatte sich einige beinahe unfassbare Zahlen auf gelbe Klebezettel notiert, und einen dieser Zettel hielt sie jetzt in der Hand.
Ein Barrel Öl entsprach 159 Litern und wurde derzeit für an die 100 Dollar, 80 Euro oder 600 Kronen verkauft. Dieses eine Barrel Öl lieferte ebenso viel Energie wie 10000 Stunden körperliche Arbeit. In Norwegen entsprach das der jährlichen Arbeitsleistung von 6 Menschen. Bei einem Jahresgehalt von 350000 Kronen pro Mensch machte das zusammen 2,1 Millionen Kronen. Ein einziges Barrel Öl lieferte also eine Energiemenge, die über 2 Millionen Kronen kosten würde, wenn man sie durch manuelle Arbeit ersetzen wollte. Und jeder Bürger der USA verbrauchte im Schnitt nicht weniger als 25 Barrel pro Jahr! Das entsprach 150 jährlichen Arbeitsleistungen und bedeutete, dass jeder Bürger der USA zu jedem Zeitpunkt über
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