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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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150 »Energiesklaven« verfügte, die sämtliche Autos, Flugzeuge, Maschinen, Kühlschränke, Fernseher, Stereo- und Klimaanlagen antreiben und dazu noch Fabriken und Bauernhöfe mit Energie versorgen mussten … Und das betraf erst nur das Öl! Dazu kamen noch Kohle und Gas.
    Nora hatte sich gefragt, ob Öl nicht einfach viel zu billig war. In den USA fiel der Beginn der Ölförderung ziemlich genau mit der Abschaffung der Sklaverei zusammen. Erst hatten die großen Plantagen im Süden jede Menge Sklaven aus Westafrika gehabt, dann bekamen sie jede Menge Öl …
    Nur 600 Kronen für 6 Jahre körperliche Arbeit? Das waren gerade mal 100 Kronen pro Jahr – da konnte man wirklich von Sklavenarbeit sprechen.
    Wie war es möglich, dass der Rohstoff Öl so billig war? Nora hatte sich ganz allein eine Antwort auf die Frage überlegt: Öl war so billig, weil es erst einmal niemandem gehörte. Niemand besaß das Öl, also hatte es keinen Preis. Man konnte es einfach aus der Erde pumpen. Das Öl war viele Jahrmillionen alt. Es war in Wirklichkeit ein Stausee aus vielen Jahrmillionen Sonnenenergie. Aber weil es niemandem gehörte, konnte es nach Belieben verbraucht werden – und dann kam eine Maus, und das Ölmärchen war aus.
    Anna sah auf den gelben Zettel und schüttelte den Kopf. Die Politiker und Ölminister hatten sicher recht, wenn sie auf die vielen Menschen verwiesen, für die das Öl den Ausweg aus einem Leben in Armut bedeutete. Aber für viele Menschen bedeutete es auch den Weg in ein Leben im Überfluss, in einen verschwenderischen Luxus von nie gekanntem Ausmaß.
    Zusammen mit dem gelben Klebezettel hielt sie einen Zeitungsausschnitt in der Hand. Eine Fluglinie warb für ihre Reisen. Das billigste Ticket von Moss unweit Oslo nach Paris kostete nur 119 Kronen. Warum Flüge oft so billig waren, wusste Nora nicht. Aber interessant war das Kleingedruckte. Da stand »Steuern und Abgaben inbegriffen«. 119 Kronen – genauso viel musste sie für vier Straßenbahnfahrten in Oslo bezahlen. Was nicht im Kleingedruckten stand, was Nora aber an anderer Stelle gelesen hatte, war, dass ein Flug Oslo–Paris und zurück für eine Person dieselben Auswirkungen auf das Klima hatte, als führe dieselbe Person ein ganzes Jahr lang mit dem eigenen Wagen jeweils sieben Kilometer zur Arbeit und zurück. Nora hatte außerdem gelesen, dass ein Flugzeug, das von Oslo nach New York flog, dem Klima denselben Schaden zufügte wie 50000 Privatwagen im Laufe eines Tages.
    Wurden auf diese Weise nicht Rohstoffe verbraucht, von denen auch kommende Generationen einen Nutzen hätten haben können? Wurden nicht Batterien geleert, die im Grunde viel länger hätten halten können? Konnte es sein, dass es gar nicht mehr so viele Jahre dauerte, bis das Öl wieder von fleißigen Händen, steifen Nacken und wunden, schmerzenden Schultern ersetzt werden musste? Wurde sie womöglich Zeugin eines einzigen riesenhaften Diebstahls an den kommenden Generationen?
    War es nicht so, dass durch das Verbrennen der fossilen Brennstoffe innerhalb so kurzer Zeit auch die Lebensgrundlagen nachwachsender Rohstoffe vernichtet wurden? War die hemmungslose Orgie der Ölverbrennung nicht zugleich die größte Bedrohung der Lebensgrundlage von Pflanzen, Tieren und Menschen? Und war die Zerstörung der Natur nicht auch ein Diebstahl an denen, die die Erde einmal erben sollten?
     
    Nora stand noch immer am Fenster. In ihrem Traum hatten die Leute aus dem Dorf Lammspieße an die Klimaflüchtlinge verkauft, von denen immer neue durchs Land zogen, viele, um ihr Glück als Kaufleute in Nordwestnorwegen zu versuchen.
    Nora musste lächeln. Was hatte sie sich nur wieder zusammenfantasiert! Und dennoch kam ihr das alles wahr und wirklich vor. Die Erinnerungen an ihren Italienurlaub im vergangenen Sommer hätten nicht wahrer und wirklicher sein können – wogegen sie kaum noch wusste, was sie gestern in der Schule gemacht hatte.
    Dabei war das, woran sie sich bisher erinnert hatte, längst nicht der ganze Traum. Im Nachhinein kam ihr der beinahe grenzenlos vor. Sie hatte träumend eine ganze Zukunft erschaffen, ein Universum, das parallel zum Leben hier und jetzt existierte. Jedes Mal, wenn sie an einem der Fäden des Traumes zog, schienen ganze Knäuel neuer Fäden daran zu hängen, alles Geschichten, die sie davor oder danach, vielleicht sogar gleichzeitig erlebt hatte …

DROMEDARE
     
    Dem arabischen Jungen geht es besser. Er ist in Novas Alter oder vielleicht ein Jahr

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