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2084 - Noras Welt (German Edition)

2084 - Noras Welt (German Edition)

Titel: 2084 - Noras Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Stress?«
    »Ja, natürlich. Warum rufst du an, Nora?«
    Ja, natürlich? – Nora begriff nicht, was er damit sagen wollte. Aber sie wusste, warum sie anrief.
    »Gibt es eine psychiatrische Untersuchung über die Menschen als solche, als Art? Wir zerstören unseren eigenen Planeten. – Warum tun wir das?«
    »…«
    »Hallo?«
    »Ich lese gerade noch mal deine SMS . – Ich glaube, du weißt gar nicht …?«
    »Was weiß ich nicht?«
    »Das mit meiner Tochter.«
    »Ester Antonsen!«
    »Sie ist meine Tochter, ja. Du hast es also doch gewusst?«
    »Nein, nein. Aber gerade eben hab ich’s begriffen. In diesem Moment. Jetzt verstehe ich auch, warum ich ausgerechnet Sie angerufen habe. Sie hatten ein Bild von ihr auf dem Schreibtisch … in einem roten Rahmen. Bestimmt hab ich mir das Bild gemerkt.«
    »Es ist allerdings ein Bild meiner Frau, nur fast dreißig Jahre alt.«
    »Ehrlich? Dann müssen sich die beiden aber unheimlich ähnlich sehen …«
    »Nun ja … Aber jetzt erzähl, Nora. Ich bin zwar ein bisschen im Stress, aber mir fehlt auch jemand, mit dem ich reden kann.«
    »Der Psychiater ist nicht zur Arbeit gegangen, und jetzt fehlt ihm jemand, mit dem er reden kann?«
    »So kann man sagen. Da siehst du, wie kompliziert das menschliche Gemüt ist.«
    »Worüber möchten Sie denn reden?«
    »Hattest du in letzter Zeit mal Besuch von Rentieren?«
    Sie lachte. »Ja, ständig. Ich glaube, die bespitzeln mich – im Auftrag des Weihnachtsmanns.«
    »Sie wollen wahrscheinlich nur herausfinden, was du dir zu Weihnachten wünschst.«
    »Vielleicht … Ich glaube, das mit Ester wird gut ausgehen, und das denke ich nicht, weil ich noch an den Weihnachtsmann glaube. Sie müssen auch positiv denken, Dr. Benjamin! Sie helfen Ihrer Tochter nicht, wenn Sie vor Kummer verzweifeln. Außerdem werden Sie in nächster Zeit all Ihre Kraft brauchen.«
    »Da hast du recht, Nora. Das ist ein guter Rat.«
    »Ich glaube, Esters Arbeit für das Welternährungsprogramm ist wichtig. Es ist gut, dass es solche idealistischen Menschen gibt.«
    Erst jetzt fiel Nora wieder ein, warum sie eigentlich angerufen hatte. Sie sagte: »Die psychiatrische Untersuchung der Menschheit verschieben wir vielleicht besser auf ein andermal. Dann kann ich Ihnen auch von ein paar völlig verrückten Träumen erzählen. Ich habe geträumt, ich wäre meine eigene Urenkelin und sähe mich selbst als altes Urgroßmütterchen – aber das hat auch Zeit bis zum nächsten Mal.«
    »Das glaube ich auch, Nora. Trotzdem danke für den Anruf!«
    »Von jetzt an werde ich natürlich regelmäßig die Nachrichten anschauen, Dr. Benjamin.«
    »Sag einfach Benjamin … Richtig wäre sowieso Dr. Antonsen.«
    »Na gut, Dr. Antonsen … ich meine, Benjamin. Ich hätte mir deine Visitenkarte ein bisschen genauer ansehen sollen, aber jetzt weiß ich ja Bescheid.«
    »Mach’s gut!«
    »Du auch. Ich denk an dich.«

EINE WINTERNACHT
     
    Sie sitzt unter einem funkelnden Sternenhimmel auf einer kleinen Lichtung im Wald. Sie hat das kleine Terminal auf dem Schoß liegen und zappt immer weiter, um zu sehen, was mit ihrem Planeten geschieht. Sie will die Zerstörungen mit eigenen Augen sehen. Deshalb hat sie sich auch in den Wald zurückgezogen. Sie will sehen, wie die Welt zerfällt, und das ist ihr so peinlich, dass sie es zu Hause in ihrem Zimmer jedenfalls nicht ständig tun kann. Jemand könnte hereinkommen und sehen, was sie macht. Jetzt muss aber mal Schluss sein mit dem ewigen Gejammer, Nova!
    Sie starrt auf den Bildschirm und tastet sich immer weiter durch die Welt, von Wendepunkt zu Wendepunkt. Sie findet alles, wonach sie gesucht hat. Es fehlt nicht an Apps, wenn man sich über jeden Aspekt des im Gang befindlichen vollkommenen Zusammenbruchs der Natur informieren will. Der Planet wird von Webcams überwacht, die Endmoränen an den Orten zeigen, wo die Gletscher sich zurückziehen. Von Kamera zu Kamera schaltend, erlebt sie mit, wie die Dürre sich schrittweise über Afrika, Amerika, Australien und den Nahen Osten ausbreitet. Die Wahrheit ist vierdimensional. Nova sieht gestochen scharfe Details der einst so reichen, vielfältigen, üppigen Natur, nur um im nächsten Augenblick zu erfahren, wie ein einziger zusammenhängender Prozess der Vernichtung von Vielfalt einsetzt. Sie ruft sich in Erinnerung, wie ganze Kontinente, Länder und Regionen ihren Artenreichtum und ihren Zauber verloren haben. Das ist leicht, die Technologie ist android, ihre Finger tanzen routiniert über

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