21 - Die achte Flotte
Restaurants spielte noch ein weiterer Faktor eine Rolle, begriff Helga. Obwohl das Sigourney’s ein öffentlicher Raum war, war es zugleich außerordentlich diskret. Mehrere Tische − wie zufällig auch der, an dem sie im Augenblick saßen − standen mehr als halb eingeschlossen in kleinen Nischen an der Rückwand. Was zusammen mit der Beleuchtung, dem Hintergrundgeräusch und dem kleinen, effizienten manticoranischen Antispion, den − als Aktenkoffer getarnt, sodass sie ihn nicht gleich erkannt hatte − Gervais unauffällig zwischen ihnen und der offenen Seite der Nische abgestellt hatte, es außerordentlich erschwerte, sie zu belauschen.
Und wenn ihn jemand beobachtet, hat er nur ein gutes Mittagessen mit einem leicht zu beeindruckenden Mädchen von Dresden, dachte sie trocken.
»Die Sache ist die«, fuhr er leise fort, »dass der Admiral gern Minister Krietzmann zu einem bescheidenen Treffen an Bord des Flaggschiffs einladen würde. Ein rein gesellschaftliches Ereignis, verstehen Sie. Mein Eindruck ist, dass auch Admiral Khumalo, Gregor O’Shaughnessy und Sonderminister Van Dort auf der Gästeliste stehen. Und ich glaube, dass auch Ms. Moorehead kommen wird.«
Trotz ihres vorherigen Misstrauens sog Helga überrascht Luft ein. Gregor O’Shaughnessy war der leitende Geheimdienstbeamte der Baronin Medusa und gleichzeitig ihr Stabschef. Und Sybil Moorehead war Premierminister Alquezars Stabschefin. Dieses Treffen versprach interessant zu werden.
»Ein ›gesellschaftliches Ereignis‹«, wiederholte sie sehr langsam.
»Richtig.« Gervais sah ihr offen in die Augen. Dann blähten sich seine Nasenflügel leicht, und er zuckte die Achseln. »Kurz gesagt«, fuhr er mit etwas leiserer Stimme fort, »möchten Admiral Gold Peak und Mr. O’Shaughnessy einige … persönliche Einschätzungen des Admirals besprechen, was die wahrscheinliche Reaktion der Königin auf den Mord an Admiral Webster angeht.«
Helga riss die Augen auf. Persönliche Einschätzungen?
Im Grunde war sie darüber gar nicht besonders überrascht. Admiral Gold Peak schien sich für jemanden an fünfter Stelle in der königlichen − und jetzt kaiserlichen − Thronfolge ihrer eigenen Wichtigkeit bemerkenswert unbewusst zu sein. Besonders hier in Thimble hatte sie einige Aristokraten und Wichtigtuer der spindaleanischen Gesellschaft, das war schmerzhaft unverkennbar, mit ihrer unaufdringlichen Tüchtigkeit und leichten Zugänglichkeit tief enttäuscht. Ihre geschäftsmäßige, nüchterne Art, ihre Pflicht zu erfüllen, bewirkte zusammen mit einem beinahe beiläufigen Verhalten im Gespräch, dass sogar Menschen mit Hintergründen wie Helga sich in ihrer Gesellschaft bemerkenswert wohlfühlten. Und dass sie die Fünfte in der Thronfolge war, hatte zur Folge, dass selbst der steifste Oligarch es nicht wagen konnte, offen Anstoß zu nehmen an ihrer fröhlichen Gleichgültigkeit gegenüber den eisernen Regeln angemessenen gesellschaftlichen Benehmens − oder der vorgeblichen Bedeutung besagter Oligarchen.
Einen informellen »gesellschaftlichen Anlass« als Tarnung für etwas beträchtlich Wichtigeres zu benutzen sähe ihr ähnlich. Das war Helgas erster Gedanke. Doch dann wunderte sie sich, welche Art »persönliche Einschätzung« die Cousine ersten Grades der Königin wohl bieten könne und weshalb es nötig sei, solchen Aufwand zu treiben, um zu kaschieren, dass sie es tat?
Und dass O’Shaughnessy dabei ist, und Khumalo, macht es nur noch interessanter, dachte sie. Wenn sie beide anwesend sind − ganz zu schweigen von Van Dort und der Stabschefin des Premierministers − , dann wird es wohl auch eine Art Strategiesitzung …
»Wo soll dieses Treffen stattfinden? Und welche Uhrzeit hat Lady Gold Peak im Sinn?«, fragte sie.
»Sie dachte daran, alle an Bord ihres Flaggschiffs willkommen zu heißen«, antwortete Gervais. »Etwa neunzehn Uhr Ortszeit, wenn Mr. Krietzmann es einrichten kann.«
»Das ist kein großer Vorlauf«, erwiderte Helga in massivem Understatement.
»Das weiß ich. Aber …« Gervais sah ihr direkt in die Augen. »Der Admiral wüsste es wirklich sehr zu schätzen, wenn er die Zeit finden könnte.«
»Ich verstehe.«
Helga sah ihn mehrere Sekunden lang an und blickte auf, als ihr Salat kam. Dazu wurde das Bier serviert. Die höfliche Unterbrechung durch den Kellner verschaffte ihr Zeit zum Nachdenken, und sie schwieg, bis er sich von der Nische entfernt hatte. Dann hob sie ihr Bierglas, trank einen Schluck und setzte es
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