21 - Die achte Flotte
er nur viel zu liebenswert, als dass sie es übers Herz gebracht hätte, einen davon auf ihn anzuwenden. Und um fair zu bleiben, musste man sagen, dass er die meisten seiner fragwürdigen Angewohnheiten offenbar hinter sich gelassen hatte. Allerdings hatte sie ihn im Verdacht, dass er während dieses Aufenthalts auf Haven seinen Mitgefangenen gelegentlich kleinere, aber höchst begehrte Luxusartikel durch nicht ganz legale Transaktionen mit den Havies verschafft hatte. Und wenn innerhalb eines halben Lichtjahrs ein Glücksspiel stattfand − besonders, wenn es mit Würfeln zu tun hatte −, dann wusste Master Steward Billingsley, wo, kannte die anderen Spieler und hatte einen Sitz in der Runde reserviert. Außerdem war da noch die Destille, zu deren Betreibern er gehört hatte, aber nur als Ausdrucksmittel seiner gesellschaftlichen Verantwortung; sein Ziel war, das medizinische Personal des Camps mit medizinischem Alkohol zu versorgen.
Trotz seiner Umtriebe und einer Vergangenheit, von der Michelle sicher war, dass ein klischeeverliebter Romanautor sie als »bewegt« bezeichnet hätte, gehörte er zu jenen Untergebenen, der stets sowohl bei seinen vorgesetzten Offizieren als auch den untergeordneten Mannschaften und Unteroffizieren beliebt war. Fast gegen ihren Willen hatte sich Michelle für seinen unleugbaren Charme erwärmt, und das, obwohl allein seine Gegenwart sie an Clarissas Abwesenheit erinnerte wie an eine Wunde, die nicht richtig heilen wollte. Das jedoch war nicht einmal ansatzweise Billingsleys Fehler, und Michelle vermutete sehr, dass er begriffen hatte, was sie empfand und warum, denn er war überraschend sensibel und rücksichtsvoll, was ihre Wunden anging.
»Ich störe Sie nur ungern, Ma’am«, sagte er, »aber ein Flugwagen ist unterwegs mit ETA zwanzig Minuten, und wir haben gerade eine Nachricht aus Captain Bouviers Dienststelle erhalten. Für Sie, Ma’am.«
»Was für eine Nachricht?« Michelle kniff neugierig die Augen zusammen.
»Ma’am, Captain Bouvier richtet Ihnen Minister Theismans Grüße aus und bittet Sie, dass Sie sich möglichst bald für den Minister zur Verfügung halten.«
Die Augen, die sie zusammengekniffen hatte, wurden groß, und sie sah kurz auf Turner und McGregor. Sie wirkten so überrascht, wie Michelle sich fühlte.
»Und darf ich annehmen«, sagte sie, indem sie sich wieder Billingsley zuwandte, »dass die bevorstehende Ankunft des Flugwagens etwas mit ›möglichst bald‹ zu tun hat?«
»Das würde ich für sehr wahrscheinlich halten, Ma’am«, antwortete Billingsley ernst. »Zumal in der Nachricht von Captain Bouvier ausdrücklich verlangt wurde, dass ich für Sie einen Koffer packe, und für mich auch.«
»Verstanden.« Michelle musterte ihn kurz, dann atmete sie tief durch. »Also gut, Chris. Wenn Sie dafür sorgen wollen; Commodore Turner, Colonel McGregor und ich haben noch ein paar Einzelheiten zu besprechen, ehe ich aufbreche, wohin immer es auch geht.«
»Jawohl, Ma’am.«
Der Flugwagen traf pünktlich ein, und unter diesen Umständen fand Michelle es beachtlich, dass Billingsley und sie den Chauffeur keine zehn Minuten lang warten ließen. Sie konnte nicht sagen, ob der Pilot des Flugwagens wusste, wie kurzfristig sie von seiner bevorstehenden Ankunft unterrichtet worden waren, doch er und seine Begleiter erwarteten sie respektvoll. Die Begleitung bestand aus einem Commander der Navy in makelloser Uniform und zwei bewaffneten Marines, die den Transport eskortierten, um bei den Kriegsgefangenen jede Versuchung, die Maschine zu kapern, im Keim zu ersticken. Sie hinkte zur Einstiegsluke (ihre Beinverwundung war noch längst nicht ausgeheilt), und der Commander nahm Haltung an.
»Minister Theisman hat mich angewiesen, wegen der kurzen Vorwarnzeit um Verzeihung zu bitten, Admiral Henke«, sagte er, während er ihr höflich die Luke öffnete. Michelle bedankte sich mit einem Nicken und ließ sich auf den Sitz sinken, während Billingsley das Gepäck im Frachtraum verstaute. Auf einen Wink des Commanders kletterte der Steward auf den hintersten Sitz. Dann folgte der havenitische Offizier, schloss die Luke und nahm auf dem Sitz Michelle gegenüber Platz, während der Wagen zurück in die Luft stieg.
»Minister Theisman lässt mich außerdem ausrichten, er glaube, dass Sie den Grund für die Hast verstehen werden, nachdem Sie Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihm hatten, Ma’am«, fügte er hinzu.
»Darf ich daraus schließen«, entgegnete
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