21 - Die achte Flotte
angenehme Tischgefährten gewesen. Allerdings hatte Michelle eindeutig Dankbarkeit empfunden, dass Theisman ihr zugesichert hatte, dass die bei Tisch gereichten Getränke keine Wahrheitsdrogen enthielten. Sie war zwar recht sicher, dass die Antidrogenpraktiken der Royal Manticoran Navy gegriffen hätten, doch auch ohne Wahrheitsseren hätten Trenis und Lewis − besonders Lewis − sie nach Strich und Faden ausgehorcht, wenn Theisman nicht beide daran erinnert hätte, dass der Anlass geselliger Natur war. Diese Fähigkeit, auch aus kleinsten Informationsbruchstücken ein schlüssiges Bild zusammenzusetzen, überraschte Michelle kaum, denn Trenis leitete das Planungsamt der Republican Navy, was sie zum Gegenstück von Zwoter Raumlord Patricia Givens machte, der Leiterin des Office of Naval Intelligence der Royal Manticoran Navy. Lewis hingegen stand dem Amt für Operative Forschung vor, dem wichtigsten Auswertungsdienst des Planungsamtes. Trotzdem war sie beeindruckt. Letzten Endes lautete für Michelle das Resümee des durchaus angenehmen Abends, dass der Führungsstab der Republican Navy eine deprimierend hohe Kompetenz aufwies.
Meistens fiel es ihr schwer zu glauben, dass diese Dinnerparty nun schon ganze sechs Wochen zurücklag. Michelle vermochte sich auf der Insel zu beschäftigen − bei einer Gesamtzahl an Gefangenen um die Neuntausend gab es trotz Turners Tüchtigkeit immer etwas, das ihre Aufmerksamkeit erforderte −, und auf diese Weise konnte sie meist der Langeweile Einhalt gebieten. Zudem lag die Insel von Camp Charlie-Sieben so weit nördlich, dass es gelegentlich zu einem interessanten Herbststurm kam. Einige Kriegsgefangene, das wusste Michelle, mochten diese Unwetter gar nicht, doch sie selbst gehörte nicht zu ihnen. Die stabilen, sturmsicheren Gebäude widerstanden dem heulenden Wind ohne Mühe, und die Brandung an den Felsstränden im Süden der Insel war wirklich beeindruckend. Michelle empfand die hiesigen Stürme als belebend, auch wenn McGregor ihr versicherte, sie seien im Vergleich zu einem echten gryphonischen Sturm nur linde Lüftchen.
Dennoch, in diesen Tagen senkte sich die Tatsache ihrer Gefangenschaft, so sehr sie sich auch von der Brutalität der SyS im letzten Krieg unterscheiden mochte, schwer auf ihre Schultern. Wenn sie aus dem Bürofenster blickte und nicht Himmel und Meer sah, sondern einen feindlichen Planeten, auf dem sie gefangen gehalten wurde, machtlos, unfähig, das Sternenkönigreich zu schützen, das sie liebte. Und das, so viel stand fest, würde in den Tagen, Wochen und Monaten, die vor ihr lagen, nur noch schlimmer werden.
Früher oder später werde ich richtig dankbar sein, wenn sich ein Fehler in die Gemüselieferungen einschleicht, dachte sie. Mannomann! Sind das nicht tolle Aussichten?
»Verzeihen Sie, Ma’am.«
Michelle zuckte zusammen und blickte gedankenverloren auf, als jemand den Kopf zur Bürotür hereinsteckte. Fraglicher Kopf gehörte zu einem der sehr wenigen ihr bekannten Männer, der wahrscheinlich genauso lange in der Navy war wie Chief Warrant Officer Sir Horace Harkness − und sich in jungen Jahren vermutlich noch mehr Disziplinarstrafen eingehandelt hatte.
»Ja, Chris?« Michelles Ton war freundlich, obwohl sie jedes Mal, wenn sie Master Steward Chris Billingsley ansah, ein Stich durchfuhr.
Ihr jahrelanger Steward, Clarissa Arbuckle, hatte die Ajax nie verlassen. Billingsley war ihr als Clarissas Nachfolger zugeteilt worden, nachdem Michelle in Camp Charlie eingetroffen war. Gut daran war, dass Billingsley sie äußerlich so wenig an Clarissa erinnerte, wie das nur möglich sein konnte. Er war etwa im gleichen Alter wie James MacGuiness und − wie MacGuiness − ein Prolong-Empfänger erster Generation. Im Gegensatz zu Clarissa war er stämmig, massig gebaut und trug einen üppigen Bart, den er sich seit seiner Gefangennahme stehen ließ. Das hätte schon mehr als ausgereicht, um ihn vor Michelles geistigem Auge von Clarissa abzusetzen, selbst wenn die … gewissen anderen Unterschiede nicht gewesen wären. Wie von allen Kriegsgefangenen gab es in Charlie-Sieben keine Dienstakte von Billingsley, und das war in seinem Fall vielleicht gar keine schlechte Sache, denn er war ohne Zweifel etwas, das man in der Navy stets als »Original« bezeichnet hatte.
Tatsächlich gab es in der Navy eine Vielzahl dienlicherer − und wahrscheinlich auch zutreffenderer Begriffe, um jemanden wie Master Steward Billingsley zu beschreiben. Michelle erschien
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