21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
eine Kugel nach dir sandte, und hat den verdienten Lohn dafür erhalten.“
„Vorher stach er schon nach mir!“
„Auch ohne zu treffen?“
„Ich fühlte den Stich; es wird aber nicht von Bedeutung sein.“
Indem ich den Lichtschein auf die betreffende Stelle fallen ließ, sah ich, daß der Ärmel blutig war. Halef bemerkte es auch und rief schnell und besorgt:
„Das ist ja Blut! Schnell herunter mit der Jacke! Ich muß nachschauen, ob die Wunde gefährlich ist oder nicht; eher kann ich nicht ruhig sein!“
Ich tat ihm den Willen. Die Verletzung war kaum der Rede wert; ein kleines Stück Kittahn (Leinwand), welches wir aus dem Nebenraum holten, genügte, die Wunde zu verbinden. Als dies geschehen war, untersuchte Halef die Taschen des Erschlagenen.
„Da, schau, Sihdi! Hier ist alles, was er mir gestohlen hat!“ sagte er befriedigt. „Ich hoffe, daß ich meine Peitsche ebenso wiederbekomme! Sie ist es, nach der ich vor allen Dingen suchen werde. Ich werde mich beim Säfir nach ihr erkundigen.“
Dieser betrachtete und beobachtete uns mit einem ganz unbeschreiblichen Ausdruck des Gesichts und beantwortete die Fragen des Hadschi mit Schweigen. Da zog ihm Halef das Messer aus dem Gürtel, setzte es ihm auf die Brust und drohte:
„Wo meine Peitsche ist, will ich wissen! Sagst du mir es auch jetzt nicht, so ersteche ich dich! Also, wo habt ihr sie?“
Er bekam keine Antwort und stieß zu, doch nicht mit der Kraft, welche zu einem tödlichen Stiche gehört hätte, sondern er ließ ihn nur die Spitze des Messers fühlen. Da brach nun freilich die Schweigsamkeit des Bedrohten, welcher ja nicht wußte, wie weit der Hadschi gehen werde oder vielmehr gehen dürfe. Er entzog sich mit einer ängstlichen Bewegung dem Messer und antwortete endlich:
„Sie ist da! Der Pädär hat sie mitgebracht!“
„Wo finde ich sie?“
„Oben im Gang liegt sie, dein Messer auch!“
„Schau, wie schön du antworten kannst, wenn ich dir die Lippen öffne! Hast du schon seine Taschen untersucht, Sihdi?“
„Nein.“
„Soll ich sie untersuchen, was sie enthalten?“
„Das tun wir später. Nur eines einzigen Gegenstandes will ich mich einstweilen versichern. Nimm ihm den Schlüssel, den er unter der Kleidung an einer Schnur am Hals trägt!“
„Mensch, was geht dich mein Schlüssel an!“ fuhr da der Säfir auf.
„Sei ruhig, mein Lamm!“ lachte Halef. „Sieh hier das Messer! Ich steche sofort zu, wenn du nicht ganz ruhig liegen bleibst!“
„So nehmt ihn hin in Teufels Namen! Ich weiß ja, daß ich ihn sehr bald wiederbekommen werde. Ihr glaubt, es nur mit mir oder mit nur einigen Personen zu tun zu haben; aber es sind so viel Leute da, daß ihr diesen Ort nicht verlassen könnt, ohne wieder festgenommen zu werden!“
Indem ich von Halef den Schlüssel bekam und ihn einsteckte, antwortete ich:
„Du bist nicht allein; das weiß ich wohl. Es sind noch dreiunddreißig Männer da.“
„Die Hölle verschlinge dich! Wer hat dir das verraten?“
„Ich habe sie gesehen und gezählt.“
„Gesehen – und – – gezählt?“ wiederholte er meine Worte. „Du willst mich glauben machen, daß dein Blick durch Mauern und Schutthaufen dringt?“
„Nicht mein Blick, sondern ich selbst. Bist du denn wirklich so dumm, auch jetzt noch anzunehmen, daß ich während der ganzen Zeit gefesselt hier gelegen habe? Wärst du so klug gewesen, nur ein einziges Mal zu kommen, um nach mir zu sehen, so hättest du mich nicht gefunden. Du hattest diesen Raum kaum verlassen, so bin ich mit dem Pischkhidmät Baschi fortgegangen.“
„Lüge!“
„Pah! Wir ritten nach Hilleh, um den Pädär und seine Begleiter zu fangen, und holten Soldaten, mit denen wir euch umstellt haben. Ich sah dich bei den Ghasai-Beduinen sitzen, um den Raub zu taxieren, und hörte alles, was du mit ihnen sprachst. Dann kehrten wir hierher zurück und legten uns selbst die Fesseln wieder an, um dich zu täuschen. Du hast ja schon vorhin gehört, wieviel ich weiß, und schon dies allein hätte dich auf den Gedanken bringen müssen, daß wir fortgewesen sind und ich hinter deine heutigen Absichten gekommen bin.“
„Du täuschst mich nicht. Das ist doch Lüge, Lüge, nichts als Lüge!“
„Es kann mir gleichgültig sein, ob du mir glaubst oder nicht!“
„Es wäre euch gar nicht eingefallen, euch freiwillig wieder zu binden!“
„Das geschah ja nur zum Schein. Wie schnell war ich aus den Fesseln heraus, als ich den Augenblick dazu gekommen
Weitere Kostenlose Bücher