21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
braucht. Und daß keine Kugel danebengeht, habt ihr jetzt gesehen. Alle, die hier im Innern der Ruine waren, befinden sich in unserer Gewalt. Ihr könnt nichts tun, als euch auch ergeben, denn gegen das Zaubergewehr könnt ihr nichts, gar nichts machen. Effendi, zeige ihnen doch, wie schnell deine Kugeln sich folgen und wie sicher du mit ihnen triffst!“
„Ja, sie sollen es sehen“, antwortete ich. „Es stehen noch elf von ihnen aufrecht; ich werde in jedes von den zweiundzwanzig Beinen eine Kugel schicken und sicher keines fehlen. Also jetzt!“
Ich legte an, und in demselben Augenblick hockten sie alle nieder, hielten die Gewänder oder die Hände vor die Beine und schrien, was sie konnten; die vier Getroffenen aber ließen ihre Stimmen mit mehrfacher Stärke erschallen.
Natürlich waren ihre Augen alle auf uns gerichtet, und so sahen sie nicht, was unten vor der Ruine geschehen war und noch geschah. Der Kol Agasi nämlich hatte die Schüsse gehört und mich gesehen. Entweder war ich von ihm trotz der Entfernung erkannt worden, oder er hatte sich gesagt, daß Schüsse Kampf bedeuten; wo man kämpft, da gibt es aber Feinde, und diese Feinde oder dieser Feind der Schmuggler konnte nur ich sein. Er mußte mir zu Hilfe kommen und hatte seinen Leuten also den Befehl gegeben, die Ruine zu ersteigen. Sie kamen so schnell, wie es ihnen möglich war, herauf; wir sahen es; die hinter den Steinbrocken ängstlich zusammengekauerten und ihre Augen nur auf uns richtenden Schmuggler aber bemerkten es nicht. Der Kol Agasi war so klug, seine Asaker nicht in einer Reihe hintereinander avancieren, sondern in breiter Linie heraufklettern zu lassen, wodurch er die Umzingelung beibehielt, so daß es auch jetzt keine Lücke zum Entschlüpfen gab.
Die vier Blessierten vollführten einen außerordentlichen Lärm; sie jammerten, klagten und schimpften in einem Atem; wir achteten natürlich nicht auf ihre beleidigenden Interjektionen. Die Kerle waren alle feig; zwar mit der nötigen Gewandtheit zum nächtlichen Schmuggeln und Schleichen begabt, entging ihnen die Neigung zur mutigen Tat, und das war wohl auch der Grund, weshalb der Säfir nicht sie, sondern die Beduinen zum Überfall der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi genommen hatte. Um ihre Aufmerksamkeit festzuhalten und ihr keine Zeit zu lassen, sich nach rückwärts zu richten, hielt der Hadschi ihnen eine Strafrede, in welcher er ihnen bewies, daß sie der Abschaum der Menschheit, wir aber die tadellosesten Heiligen und Helden seien. Er erreichte seinen Zweck vollständig, denn er hatte noch lange nicht geendet, so stand der Kol Agasi mit seinen Leuten schon vor den Trümmerresten, hinter denen die Schmuggler hockten. Darum unterbrach er sich und wendete sich an mich:
„Die Asaker sind da; ich muß also leider meine Strafpredigt mitten auseinanderschneiden. Jetzt kommst du wieder an die Reihe; sprich weiter!“
„Das fällt mir gar nicht ein; es wird ein Zeichen meiner Hand genügen.“
Der bei seinen Leuten und heimlich hinter den Schmugglern stehende Kol Agasi hielt seine Augen fragend auf mich gerichtet; ich gab ihm einen Wink; er rief ein Kommandowort, und seine Soldaten drangen auf die Schmuggler ein, welche über den plötzlichen Angriff so erschrocken waren, daß sie fast alle gar nicht auf den Gedanken kamen, sich gegen ihre Festnahme zu wehren. Unsere Beihilfe war nicht notwendig; wir konnten als Zuschauer stehen bleiben, wo wir standen; dem quecksilbernen Hadschi freilich war es unmöglich, sich ganz der Beteiligung zu enthalten. Er sagte:
„Ich habe da drin im Gang ein Habl (Strick, Seil) aus Palmfaser liegen sehen, an welches wir die Kerle so binden können, wie man Datteln auf Schnüren reiht. Ich werde es holen.“
Er ging hinein und brachte dann nicht nur das Seil, sondern auch eine ganze Menge von Schnüren, Leinen und Strickteilen heraus, welche er den Soldaten hintrug. Es war höchst interessant, zu sehen, in welcher Weise er nun die Fesselung der sich sträubenden Gefangenen dirigierte und überwachte. Als man damit fertig war, wurden sie, in langer Reihe an dem Seil hängend, abgeführt; die Verwundeten mußten natürlich getragen werden. Dabei vorkommende Störungen, Unterbrechungen und ähnliche Szenen darf ich wohl übergehen. Es versteht sich ganz von selbst, daß die drei Männer, welche wir am Eingang überrumpelt hatten, den Abgeführten mit angeschlossen waren. Als dieser Transport sich in Bewegung gesetzt hatte, trat der Kol Agasi zu mir und
Weitere Kostenlose Bücher