21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
entgehen könne; wo hast du sie? Wo bleiben sie? Ich aber sagte dir, daß mit dem Anbruch des Tages das Strafgericht über dich beginnen werde; mein Wort, über welches du lachtest, ist pünktlich eingetroffen. Ich prophezeite dir noch mehr, will es aber jetzt nicht wiederholen. Warten wir den Abend ab! Für jetzt sollst du nach deiner eigenen Ansicht behandelt werden: Mit dem Tod ist alles aus. Wenn es im Jenseits keine Strafe für dich gibt, so dürfen wir im Diesseits keinen Augenblick versäumen, dir zukommen zu lassen, was du verdienst. Vorher aber frage ich dich, wo die Leichen der ermordeten Mitglieder der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi sind?“
Er antwortete nicht, auch dann nicht, als ich meine Frage zweimal wiederholte. Ich richtete sie an die gefangenen Ghasai-Beduinen, und zwar mit demselben Mißerfolg. Darum wendete ich mich speziell an denjenigen von ihnen, den ich für ihren Anführer halten mußte, weil er bei der Taxation der Beutestücke das Wort geführt und das Geld eingesteckt hatte. Seine einzige Antwort bestand in einer höhnischen Gesichtsverzerrung.
„Ich werde dir den Mund mit der Peitsche öffnen lassen!“ drohte ich.
„Wage das!“ rief er. „Wir sind freie Beduinen und dürfen nicht geschlagen werden! Wir sind ehrliche Leute und wissen nicht, weshalb man uns gefangengenommen und gebunden hat!“
„Ehrliche Leute? Und habt euch doch für Solaib-Araber ausgegeben! Und habt dort bei den Feuern gesessen und bei jedem einzelnen Stück um euern Mörderlohn gefeilscht!“
„Das ist Lüge!“
„Ich selbst habe es gesehen und gehört; das ist genug! Also sag, wo sind die Leichen?“
„Ich weiß von keiner Leiche! Wenn es Leichen gibt, so suche sie dir doch selbst!“
Seiner spöttischen Miene war die Überzeugung, daß ich sie nicht finden würde, deutlich anzusehen. Darum erwiderte ich:
„Ich werde dir beweisen, daß es mir sehr leicht ist, sie zu entdecken, aber dich dann doch noch zwingen, uns zu sagen, wohin sie geschafft worden sind. Die Peitsche macht gesprächig!“
„Das wirst du bleiben lassen! Mein ganzer Stamm würde über dich kommen und dir hundert Hiebe für jeden einzelnen geben!“
„Laß ihn hauen, laß ihn immer hauen!“ rief mir da der Bimbaschi zu. „Vorher aber gestatte, daß der Säfir bekommt, was ihm gebührt!“
„Ich habe nichts dagegen, erwarte aber, daß ihr euch an eine Bedingung haltet, welche ich unbedingt stellen muß.“
„Teile sie uns mit!“
„Schlagt ihn, soviel ihr wollt, aber nur nicht tot! Wir müssen ihn dem Pascha ausliefern, und ich bin überzeugt, daß er die Bestätigung deiner Ernennung zurücknehmen und dich vielleicht zum gewöhnlichen Soldaten machen würde, wenn er ihn nicht lebend, sondern tot zu sehen bekäme!“
Diese Warnung hatte den Zweck, eine sehr leicht mögliche Ausartung der Strenge in Grausamkeit zu verhüten. Der Offizier beeilte sich auch, mir die Versicherung zu geben:
„Sei da ohne Sorge, Effendi! Diesen Schurken totzuschlagen, wäre eine ganz unverdiente Wohltat für ihn. So kurz darf seine Strafe nicht sein. Aber du weißt, daß er in der Mehkeme die Bastonade für dich verlangte; dafür soll er sie nun selbst bekommen, aber wie! Das erlaubst du doch?“
„Ja.“
„Bloß die Bastonade?“ fragte Halef. „Ich habe geglaubt, daß meine Karbatsch mit ihm sprechen soll! Sihdi, dadurch, daß du ihm nur die Bastonade verordnest, wirst du mich um den Hochgenuß bringen, ihm zu zeigen, wie innig meine Seele mit den Gefühlen seiner empfindungsvollen Haut verbunden ist!“
Ich nahm ihn bei der Hand, zog ihn zur Seite und stellte ihm die Frage:
„Sag, lieber Halef, welches ist der stolzeste und berühmteste Stamm der Beduinen, so weit die Blumen der Steppe blühen?“
„Der große Stamm der Schammar“, antwortete er. „Das weißt du ebensogut wie ich; warum fragst du also?“
„Und welche ist die hervorragendste seiner Abteilungen?“
„Das sind natürlich meine Haddedihn!“
„Von denen du der oberste bist?“
„Natürlich!“
„Also bist du der berühmteste und am höchsten gestellte Mann des ganzen Stammes der Schammar?“
„Das will ich meinen! Das steht sogar über jedem Zweifel erhaben!“
„Du hast also diesen großen Stamm mit deiner Person und die Ehre von soviel tausend Kriegern mit deiner Ehre zu vertreten?“
„Selbstverständlich!“
„Was du tust, ehrt oder schändet also jeden einzelnen Schammar und jeden Haddedihn?“
„Gewiß!“
„Was würdest du tun, wenn
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