21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
gezwungen, es zu tun. Soll ich dir helfen, Effendi, die Steine zusammenzufügen?“
„Nein“, antwortete ich. „Diese Arbeit muß ich allein tun. Es wird da leichter und auch schneller gehen als mit deiner Hilfe.“
Indem ich die überall sehr scharfen, aber vielfältigen und höchst unregelmäßig laufenden Kanten des Einganges betrachtete, welche keine gerade, sondern eine nach allen Richtungen zickzackende Linie bildeten, und von unten herauf diejenigen Steine, welche in die Zickzacke paßten, aufeinander setzte, wurde es mir nicht schwer, das Loch in so kurzer Zeit zuzusetzen, als ob ich diese Arbeit schon oft ausgeführt hätte. Als ich zuletzt den Schlußstein eingefügt hatte, wäre es einem Uneingeweihten wohl nicht möglich gewesen, bei Betrachtung dieser Mauerstelle zu erraten, daß hinter ihr ein Gang verborgen war. Die einzelnen Stücke paßten so genau an- und aufeinander, als ob sie seit dem Bau des babylonischen Turmes nie von einer Hand berührt worden seien. Die Leute, welche den Gang entdeckt und diesen Verschluß desselben hergestellt hatten, waren sehr vorsichtige und sorgsam arbeitende Personen gewesen.
Sosehr mich das Gelingen dieser meiner Arbeit befriedigte, so groß war der Grimm des Säfir über diesen Erfolg. Ich sah trotz des dichten Schnurrbartes, daß seine Lippen vor Wut bebten. Er hätte diesen Gefühlen wohl gern durch entsprechende Worte Luft gemacht; aber der Hadschi hatte die Peitsche noch immer in der Hand, und die Furcht vor diesem Omm es Sefa (Mutter der Wonne), wie Halef sie gern nannte, zwang ihn, still zu sein.
Es war nun Zeit, die Höhe zu verlassen, und so stiegen wir hinab. Halef ging voran, ich hinterher; der Säfir mußte, von mir scharf beobachtet, in der Mitte schreiten. Als wir bei den Soldaten ankamen, stand der neue Bimbaschi von dem Platz auf, wo er gesessen hatte, und meldete mir:
„Effendi, der Bote nach Hilleh ist längst fort, und ich habe ihm befohlen, sich möglichst zu beeilen. Darf ich vielleicht nun die Pferde hierherkommen lassen?“
„Ja. Ich werde inzwischen den Askari holen, der in der Nacht mit uns gegangen ist.“
„Soll ich nicht lieber nach ihm schicken?“
„Nein; man würde ihn nicht finden.“
Ich ging selbst, weil ich es nicht für geraten hielt, daß noch mehr Personen als dieser eine Askari den Ort erfuhren, wo ich mit dem Kammerherrn in den Turm gestiegen war. Als ich zu ihm kam, lag er in dem weichen Schutt und schlief. Ich weckte ihn und befahl ihm, mir zu folgen. Er rieb sich die Augen und kletterte, bald stolpernd und bald auf allen vieren oder auf dem Rücken rutschend, hinter mir her. Ich führte ihn aus Berechnung nicht gleich auf die Ebene hinaus, sondern in der Weise zwischen Mauerresten hindurch und über Trümmerhaufen hinweg, daß er, zumal infolge seiner Schlaftrunkenheit, über die Richtung irre wurde und, als wir die Ruinen endlich hinter uns hatten, stehenblieb und, indem er mit Kopfschütteln zurückblickte, sagte:
„Dieser Rückweg war bös, Effendi; der Hinweg in der Nacht war besser. Da war es aber dunkel; ich sah und hörte lange Zeit nichts mehr und schlief darum ein. Wo sind wir denn eigentlich gewesen?“
„Das mußt du doch wissen!“ antwortete ich, sehr befriedigt von dem Gelingen meiner List.
„Ich weiß es nicht. Wir sind jetzt durch ein solches Wirrwarr geklettert, daß ich die Stelle, wo ich geschlafen habe, ganz gewiß nicht wiederfände, wenn ich sie suchen sollte.“
„Es wird dir niemand auftragen, sie zu suchen. Also beruhige dich, und komm!“
Als wir die Asaker von weitem sahen, bemerkte ich, noch ehe wir sie erreicht hatten, daß dort etwas Ungewöhnliches vorgekommen war. Ich verdoppelte also meine Schritte. Ich wurde gesehen; der von ihnen gebildete Kreis öffnete sich; Halef kam mir entgegen und rief mir zu:
„Sihdi, denke dir, der Kerl wollte den Kol Agasi, welcher jetzt Bimbaschi ist, erwürgen?“
„Welcher Kerl? Der Säfir?“
„Ja.“
„Wie konnte er auf den Gedanken kommen? Er ist doch gebunden und hat eine schwerverwundete Hand!“
„Mit dieser Verwundung steht es nicht so schlimm, wie wir dachten. Er kann die Finger, oder wenigstens einige davon, noch ganz gut bewegen.“
„Aber die Hände waren ihm doch auf den Rücken gebunden; da war ein solcher Angriff meines Erachtens vollständig unmöglich!“
„Ja, Effendi, er hatte sie ja doch nicht mehr auf dem Rücken!“
„Wo denn?“
„Sie waren frei.“
„So hast du wieder einmal eine deiner
Weitere Kostenlose Bücher