21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
das Gefängnis?“
„Zur ebenen Erde rechts, wo du die kleinen Löcher in der Mauer siehst.“
„Ich danke! Das sind keine Wohnungen für uns! Da drüben wird der Hof von einer Mauer abgeschlossen. Was liegt hinter ihr?“
„Eine freie Gasse.“
„Wie breit ist sie?“
„Es können fünf oder sechs Personen an dieser Stelle nebeneinander gehen. Warum fragst du das?“
„Weil wir zwar gute Reiter sind, aber aus gewohnter Vorsicht uns stets vorher zu erkundigen pflegen, wenn es gilt, die Hälse zu riskieren.“
„Die Hälse? Ich verstehe dich nicht!“
„Ist auch nicht notwendig. Und nun höre, was ich dir sage! Wir werden genau zehn Minuten auf dich warten. Das ist Zeit genug, dem Sandschaki deine Meldung zu machen. Bist du dann noch nicht wieder da, so reiten wir fort.“
„Kann ich mich wirklich auf dieses dein Versprechen verlassen?“
„Ich breche nie mein Wort.“
„So will ich gehen, denn ich vertraue dir. Ihr braucht nicht zehn Minuten zu warten, denn ich werde schon eher wiederkommen.“
Er ging, indem ich darüber lächeln mußte, daß er mir mein Wort abgenommen hatte. Seine Leute waren ja da! Warum hatte er sie nicht aufgefordert, uns zu bewachen und jeden Fluchtversuch zu verhindern? Traute er ihnen weniger als meinem Versprechen? Der Eindruck, den wir auf ihn gemacht hatten, schien ein für uns noch günstigerer zu sein, als ich gedacht hatte. Er glaubte nicht, daß wir uns trotz ihrer Überzahl von ihnen halten lassen würden, und da hatte er auch recht!
Das Gebäude bestand, wie alle Häuser der Stadt, aus Ziegeln, welche den Trümmern des einstigen, großen Babylon entnommen waren; es sah sehr schmutzig und baufällig aus. Der Hof war nicht groß, bot uns aber hinreichend Platz zu den Bewegungen, welche später vielleicht nötig wurden. Die Mauer, von welcher ich gesprochen hatte, besaß etwas über Mannshöhe, zeigte aber einige Stellen, wo die oberen Ziegellagen, weil verwittert, herabgefallen waren, und es erschien mir ganz und gar nicht als ein Wagnis, an einer dieser Stellen mit unsern Pferden über sie hinwegzukommen. Das war es, warum ich gefragt hatte, was hinter ihr liege.
Eigentlich hätte mir bange sein können. Ein Christ, gefangen, in Hilleh, dem Hauptort schiitischer Unduldsamkeit, der Schuld am Tod eines Menschen und an der Verletzung eines andern, vielleicht auch des Schmuggels angeklagt – – – das waren Gründe genug, besorgt zu sein. War hier doch schon allein der Umstand, ein Christ zu sein, höchst gefährlich für mich! Aber ich sah dem Kommenden mit größter Seelenruhe entgegen, und als ich mein Auge auf Halef richtete, lächelte er mich getrost und zuversichtlich an und fragte:
„Hast du schon einen Plan, Sihdi?“
„Nein“, antwortete ich, indem ich mich, um von den Soldaten nicht verstanden zu werden, des maghrebinischen Dialektes bediente. „Um einen Plan zu haben, müßte ich wissen, was sich nun ereignen wird; da ich das aber nicht weiß, können wir nichts tun, als ruhig warten.“
„Aber wie wir uns im allgemeinen zu verhalten haben, das kannst du mir mitteilen?“
„Ja. Ich werde nicht leugnen, daß ich Christ bin, hier am allerwenigsten; ich bin das mir und meinem Glauben schuldig; du hast dich ganz nach mir zu richten und alles so zu tun, wie ich es tue. Ich vermute, daß wir über die Mauer setzen werden. Das muß, da die dahinterliegende Gasse nicht breit ist und um nicht jenseits anzurennen, in schiefer Richtung, und zwar von rechts nach links, geschehen, so daß wir bei dem Sprung nördlich schauen. Das mußt du dir merken, damit wir keinen Augenblick auseinanderkommen und du nicht etwa umzuwenden brauchst.“
„Allah! Bin ich etwa blind, Sihdi? Traust du mir zu, in der Weise über die Mauer zu kommen, daß wir uns draußen mit den Rücken anschauen?“
„Nein; aber es war nicht unnötig, davon zu sprechen.“
„So meinst du, daß wir gar nicht absteigen?“
„Wir werden wahrscheinlich doch herunter müssen; aber ins Gebäude gehen wir auf keinen Fall, und von den Pferden trennen wir uns keinen Augenblick, sondern behalten die Zügel stets in den Händen.“
„Aber wir sind angeklagt, man will uns verhören, und wir können die Pferde doch nicht mit hinein ins – – – ah, du willst ja gar nicht hinein in die Mehkeme!“
„Nein. Wer uns verhören will, der muß zu uns herauskommen.“
„Muß herauskommen, muß! Ob er will oder nicht! O Sihdi, lieber Sihdi, wie freue ich mich darauf! Das ist doch endlich
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