21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
nicht hoch, aber desto breiter gewachsen. Seine Stimme klang gebieterisch, und zwar so, als ob er gewohnt sei, zu befehlen, und dabei eigentümlich schnarrend. Wangen und Kinn waren rasiert; dafür trug er einen um so längeren Schnurrbart, durch dessen linke Hälfte eine feuerrote Narbe ging, welche von der Stirn bis herab zur Mundspitze reichte. Die Augenhöhle, über welche sie lief, war leer. Der Hieb, dessen Spur diese Narbe war, hatte ihm das linke Auge gekostet. Ich beobachtete, daß er, während er sprach und auch später sehr oft die Hand hob, um die Barthaare über die Narbenlücke zu streichen.
Man wird mir glauben, wenn ich sage, daß ich überrascht war. So, wie dieser Mann da vor uns neben dem Sandschaki stand, hatte der Bagdader Bimbaschi uns den Säfir beschrieben. Die ganze Erscheinung war so charakteristisch, daß an einen Zweifel gar nicht gedacht werden konnte. Er war es, der unserm alten Gastfreund und seinem dicken Kepek im Birs Nimrud den Schwur abgenommen hatte. Der Säfir, der Anführer der Schmuggler, den ich so gern hatte sehen wollen, stand also vor mir!
Ihn hier, bei dem Statthalter zu treffen, das hatte ich freilich nicht erwartet. Es war eine Kühnheit oder vielmehr eine Frechheit von ihm, die Stadt und das Haus aufzusuchen, wohin er eigentlich als verurteilter Verbrecher, als Strafgefangener gehörte. Wer diesen Mann zum Feind hatte, der konnte nicht behaupten, daß er es mit einem schwachen, verächtlichen Gegner zu tun hatte. Aus dem von ihm gebrauchten Worte Sa'id war zu schließen, daß er sich für einen hohen Beamten des persischen Schah ausgegeben hatte; wahrscheinlich behauptete er, im Auftrag desselben unterwegs und hier anwesend zu sein. Welche spezielle Absicht er dabei verfolgte, das konnte mir gleichgültig sein; sie betraf wahrscheinlich die Schmuggelei, welche mich nichts anging. Aber aus der Gegenwart Safis und aus dem Umstand, daß er diesen in seinen Schutz nahm, war zu schließen, daß er zu den Sillan gehöre. Jedenfalls war er nicht ein gewöhnliches, sondern ein hervorragendes Mitglied dieses geheimen Bundes, und nun ich das wußte, stand es bei mir fest, daß ich Hilleh nicht verlassen würde, ohne den Birs Nimrud wieder aufzusuchen, um an Stelle unsers Bimbaschi mit diesem angeblichen oder auch wirklichen Perser abzurechnen. Grad daß er ein so verwegener Mensch war, vor dem man sich zehnfach in acht zu nehmen hatte, das machte mir erst recht Lust, mit ihm anzubinden. Halef hatte, als wir mit dem Polen auf dessen Dach saßen und dieser uns seine Erlebnisse erzählte, zu ihm gesagt: „Ich wollte, wir würden einmal von dem Säfir in den Turm gesperrt“, und dann hinzugefügt: „Ich würde niemals ohne Peitsche in den Birs Nimrud steigen!“ Jetzt fand sich für ihn vielleicht die Gelegenheit, zu beweisen, daß diese seine Worte nicht prahlerisch, sondern ernst gemeint gewesen seien.
Aber diesen Gedanken im gegenwärtigen Augenblicke nachzuhängen, dazu gab es keine Zeit, denn wir hatten auf den Perser zu achten, welcher in seiner Anklage fortfuhr:
„Diese beiden Menschen sind überhaupt gewalttätige Personen, welche schon längst verdient haben, totgepeitscht zu werden.“
„Kennst du sie?“ fragte der Statthalter.
„Ja. Ich könnte dir sehr viel von ihnen erzählen; es genügt aber vollständig, wenn ich dich über eine ihrer Missetaten unterrichte. Sie sind auf einem Kellek den Tigris herabgekommen und haben des Nachts einige Freunde von mir, welche am Ufer gelandet waren und ruhig schliefen, überfallen, gebunden, ausgeraubt und dann noch beinahe totgeschlagen.“
„Allah! Weißt du das gewiß?“
„Ja. Es ist sogar ein Zeuge anwesend, der es beschwören kann.“
„Wer?“
„Safi, der dort sitzt. Er ist dabeigewesen.“
„Wo ist es geschehen?“
„Oberhalb Bagdad.“
„So liegt der Tatort nicht in meinem Bereich, und ich habe leider nicht darüber abzuurteilen.“
„Das weiß ich gar wohl; aber ich bin überzeugt, daß diese Tat als Verschärfung der Strafe heut mit angerechnet werden kann.“
„Das versteht sich ganz von selbst. Ich werde dafür sorgen, daß es diesen Hunden unmöglich ist, noch irgendwelchen Schaden anzurichten.“
„So bitte ich dich, den Umstand, daß der eine von ihnen ein Christ ist, ganz besonders zu beherzigen! Der andere gibt sich für einen Scheik der Haddedihn aus, eine Lüge, wie man sich keine größere denken kann. Du brauchst ihn nur anzuschauen, um sogleich im klaren über ihn zu sein. Ich
Weitere Kostenlose Bücher