Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

2132 - Der Saltansprecher

Titel: 2132 - Der Saltansprecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
einer Flutwelle gleich in die Höhle ergossen. Unzählige dunkle Leiber schlitterten auf ihn zu, pressten sich gegen seinen Körper, bedeckten ihn, bis nichts mehr zu sehen war außer einer dunklen, wimmelnden Masse.
    Tieger schloss die Augen, als ein Saltan sich Über sein Gesicht legte. Der Saugrüssel glitt an seiner Wange entlang. Er spürte die Reißzähne unter den weichen Lippen und zuckte zusammen, doch der erwartete Schmerz blieb aus. Worauf warten sie?, fragte sich Tieger. Wieso bringen sie mich nicht um? Die Bewegungen der Saltans wurden ruhiger, langsamer, als schliefen sie ein. Tieger spürte die wohlige Wärme, die von ihren Körpern ausging, und den Herzschlag, der im Rhythmus seines eigenen Pulses schlug. Etwas legte sich wie eine Decke Über seinen Geist. Die Angst vor den Saltans verschwand, wurde ersetzt durch eine ruhige Behaglichkeit, die ihn an sein Bett zu Hause auf Loan erinnerte.
    Mit halb geschlossenen Augen nahm Tieger das Säuseln wahr, das in der Luft lag. Es hüllte ihn ein, leise, aber doch so intensiv, dass es alle anderen Geräusche Überdeckte. Sie sprechen zu mir, dachte er träge. Wenn ich nur wüsste, was sie sagen ...
    Sechs Monate später...
    Selten hatte Molpo eine so große Aufregung im Kloster Follmonk erlebt. Die sonst so würdevollen Mönche liefen hektisch durcheinander und waren bemüht, die letzten Vorbereitungen so rasch wie möglich zu treffen. Der Prinzenkrieger selbst, der Herr des Lichts, hatte seinen Besuch angekündigt.
    Die große Ehre, die Marca dem Kloster damit erwies, spiegelte sich in den Gesichtern aller. Sogar die Diener, die man eilends aus der Unterstadt für die niederen Arbeiten angeheuert hatte, bewegten sich voller Stolz, als sei der hohe Besuch ihr eigenes Verdienst. „Er sollte den Herrn des Lichts zumindest sehen dürfen", sagte Molpo. Pernaq legte ihm zustimmend die Hand auf die Schulter. „Du hast Recht. Es ist eine Ehre, die man vielleicht nur einmal im Leben erhält. Allerdings glaube ich nicht, dass Olibec sie ihm erweisen wird."
    „Er ist zu hart zu dem Jungen." Molpo stützte die Hände auf die Brüstung des Turms und sah hinab in den Klosterhof. Zusammen mit Pernaq hatte er sich von den Vorbereitungen zurückgezogen, um Über einen Mönch zu sprechen, dessen Schicksal niemanden sonst zu interessieren schien. „Niemand", fuhr er fort, „hätte gedacht, dass Tieger so lange bei den Saltans Überlebt. Ich hätte ihm keinen Tag gegeben, doch er hat uns alle Überrascht. Das sollte belohnt werden."
    „Du kannst Olibec fragen, aber er wird dir nicht erlauben, Tieger auch nur in Sichtweite des Prinzenkriegers zu bringen. Er soll bei den Saltans bleiben, dort, wo ihn niemand sieht." Molpo wusste seit langem, dass den Jungen ein Geheimnis umgab, aber im Gegensatz zu Pernaq wurde er nicht zu den Sitzungen der Klosterleitung eingeladen. Als ehemaliger Saltanwärter hatte er sich zwar den Respekt der Mönche verdient, ein weiterer Aufstieg war ihm jedoch verwehrt geblieben.
    Er sah sich kurz um, stellte sicher, dass niemand ihm zuhörte. „Und wenn Olibec nichts davon erfährt?" Pernaq machte ein Geräusch, als hätte er sich verschluckt. „Willst du wirklich deine Ehre für diesen Jungen riskieren?" Molpo zog ihn ein Stück zur Seite und zeigte auf einen halb verfallenen Turm, der als Mahnmal diente. „Es ist ganz einfach. Ich hole Tieger unten ab und bringe ihn dort hinauf. Dann kann er die Zeremonie durch die Löcher im Mauerwerk beobachten. Niemand wird je davon erfahren."
    „Bis Tieger es versehentlich erzählt", sagte Pernaq. „Wem sollte er es erzählen? Außer dir und mir redet doch niemand mit ihm." Man hatte Molpo schon häufig unterstellt, über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu verfügen, und in Situationen wie dieser schien sich das zu bestätigen. Er empfand es als ehrlos, eine gute Leistung nicht zu belohnen und einen Propheten nur wegen seines schwachen Verstands auszuschließen. Auch deshalb hatte er sich an Pernaq gewandt: Wenn jemand in Follmonk die Lage eines Außenseiters nachvollziehen konnte, war er es. „Wieso belastest du mich mit diesem Wissen?", fragte der Mediker nach einem Moment. „Was willst du von mir?" Molpo wusste, dass er gewonnen hatte. Trotzdem verneigte er sich tief, bevor er seine Bitte äußerte. „Ich möchte nur wissen, um welche Uhrzeit Olibec die Ehrenwache antreten lässt, damit ich Tieger vorher in den Turm bringen kann." Er hielt den Blick gesenkt, erwartete betont demütig eine

Weitere Kostenlose Bücher