2132 - Der Saltansprecher
sprach schnell, um nicht noch einmal unterbrochen zu werden. „Ich hab einen Schatten über uns gesehen, über allen Pfauchonen. Feuer und Schiffe waren dort und Prinzessin Sihame. Sie ist gefangen und ..." Tieger brach ab. „Was und?", hakte Olibec nach. „Nix." Er empfand es plötzlich als falsch, von seiner eigenen Beteiligung zu sprechen. Propheten sahen nie ihr eigenes Schicksal. Dass er es trotzdem gesehen hatte, machte ihn zu einem noch größeren Außenseiter. Olibec trat an den Schreibtisch und stützte die Finger auf die Platte. Tieger zog den Kopf ein, aber die Entgegnung kam ruhig und ernsthaft. „Du hast Recht, Junge. Es liegt ein. Schatten über dieser Galaxis und all seinen Bewohnern. Eine große Gefahr droht uns."
„Dann ist meine Vision wahr?"
„Viele haben sie gehabt, und viele kümmern sich darum." Olibecs Blick flackerte. Eine Ader pochte deutlich sichtbar an seinem Hals. „Denk nicht mehr darüber nach! Überlass das den Propheten!"
„Aber ich bin auch ein Prophet!" Tieger hätte beinahe mit dem Fuß aufgestampft, beherrschte sich aber im letzten Moment. „Ich hab's doch gesehen", fügte er dann etwas kläglich hinzu. „Und du hast mir davon berichtet", sagte Olibec. Er klang plötzlich ungeduldig und gereizt. Schweiß stand auf seiner Stirn. „Du hast deine Pflicht erfüllt. Also gehe zurück zu deinen Saltans und kümmere dich um sie. Dort liegt deine Aufgabe. Hast du das verstanden?"
„J a. Das werde ich." Tieger verneigte sich tief und verließ das Büro. Erst als er beinahe die Gehege erreicht hatte, fiel ihm auf, dass Olibec ihn nicht wegen des Gabraunizisz-Gebrauchs bestraft hatte. Der Vorsteher des Klosters war noch nicht einmal darauf eingegangen. Dabei hatte Tieger nur deshalb so lange mit seinem Gang in das Büro gezögert. Es war ihm klar gewesen, dass die anderen Propheten von der Bedrohung erfahren mussten, aber er hatte sich vor Olibecs Reaktion gefürchtet.
Dass die ausgeblieben war, hielt er für seltsam. Tieger dachte an den waagerecht stehenden Saltan und den Schweiß auf Olibecs Stirn. Etwas schien an seinen Nerven zu zerren und ihn förmlich zu verzehren. Die Gefahr für die Pfauchonen musste tatsächlich sehr groß sein, wenn selbst ein mächtiger Klostervorsteher Angst bekam. Ist das nicht der Beweis, dass ich Recht habe?, fragte sich Tieger. Kann nur Sihame das Unglück verhindern?
Aber wenn dieser Teil der Prophezeiung stimmte, bedeutete das nicht auch, dass er die Prinzessin befreien musste? Daran wagte er kaum zu denken.
Stattdessen verdrängte er die Vision, so gut es ging, und ging in die Stallungen - zu den Geschichten der Saltans.
Drei Nächte lang ertrug Tieger die Albträume, bevor er sich der Prophezeiung ein weiteres Mal stellte. Es hatte keinen Sinn, die Wahrheit zu leugnen, denn im Schlaf kehrte sie doch immer zurück. Also akzeptierte er, dass es sein Schicksal war, Sihame zu befreien. Nur wie er das anstellen sollte, verriet ihm die Vision leider nicht. Er hatte kein Raumschiff, um nach Kazién zu fliegen, keine Waffen, um sich gegen die Wachen zu stellen, und vor allem nicht die Intelligenz, um durch eine List zu siegen. Tieger war denkbar ungeeignet für diese Aufgabe.
Er dachte an die Urteilsverkündung, die ihn seine Hände gekostet hatte. Olibec hatte ihm vorgeworfen, weder ein Gehirn noch ein Herz zu besitzen, hatte in ihm nur die Stärke seiner Hände gesehen. Aber trotzdem war er immer noch ein Prophet, war geboren worden in eine Familie von Propheten und lebte unter ihnen. Sie glaubten, er sei nichts wert selbst Molpo und Pernaq schenkten ihm eher ihr Mitleid als ihre Freundschaft-, doch er hatte begriffen, dass die Visionen Verantwortung bedeuteten. Die Götter von Zabar-Ardaran schenkten sie nur dem, den sie für würdig hielten, und er wollte seine Ehre nicht verlieren, indem er sie enttäuschte.
Olibec würde das kaum verstehen, so viel wusste Tieger. Das hieß, er war auf sich gestellt, ganz allein, und er hatte keine Ahnung, wie er die Prophezeiung erfüllen sollte. Er legte sich zwischen die Saltans und atmete ihren Geruch ein. Sie glitten über ihn hinweg, schenkten ihm ihre Wärme, bis er schließlich einschlief.
Er blickt über die Gläserne Stadt. Das Licht bricht sich in den Kuppeln, strahlt ihm in tausend Regenbogen entgegen. Er dreht sich um, schreitet dem Palast des Prinzenkriegers entgegen. Die Saltans zu seinen Füßen sind wie eine Woge, stark und unaufhaltsam. Von ihren Saugrüsselschnauzen tropft Blut. Er
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