2132 - Der Saltansprecher
wirklich bedeutete, aber der Gedanke war zu schön, um ihn in die Schublade zu verbannen. Am liebsten hätte er sich in die Stallungen zurückgezogen, um neben den Saltans davon zu träumen, doch das ging nicht mehr. Er musste die Prophezeiung erfüllen. Tieger ging in die Knie und streichelte einen der Saltans, die er mit auf die Brücke genommen hatte. Die meisten waren in einem der Frachträume untergebracht worden. Nur einige hundert - oder waren es tausend? blieben als Wache bei ihm. Tieger spürte ihre Angst und die Sehnsucht nach den dunklen Höhlen, aber auch ihre Gewissheit, dass er sie schützen würde, egal, wo sie sich aufhielten.
Eine innere Stimme fragte ihn, ob er das Recht hatte, die heiligen Saltans für seine Zwecke einzusetzen. Sie waren schließlich seine Freunde und vertrauten ihm. Auch die Gesichter der toten Mönche tauchten ständig in seinem Geist auf. Er hatte zugelassen, dass sie starben, war damit zu ihrem Mörder geworden.
Konnte das göttlicher Wille sein? „Saltansprecher!" Die Stimme des Kommandanten riss ihn aus seinen Gedanken. Er war ein junger Pfauchone, der es kaum wagte, ihm in die Augen zu blicken. Auch der Rest der Besatzung zeigte Ehrfurcht. „Wir haben das Kazién-System erreicht."
Der Kommandant sagte noch etwas, aber Tieger hörte längst nicht mehr zu. Die Reise war viel zu schnell vergangen. Er hatte keinen Plan, nicht den Hauch einer Ahnung, wie er sich nach der Landung verhalten sollte. Wusste man auf Kazién, dass ein Mörder - denn nichts anderes war er auf dem Weg zu ihnen war? Würden sie seine Landung verhindern oder ihn als den Saltansprecher verehren? Tieger kratzte sich am Kopf. Wenn er doch nur jemanden hätte fragen können, Molpo oder Pernaq. Sogar Olibecs Rat wäre ihm jetzt willkommen gewesen. Doch er war allein. Die Last der Verantwortung drückte ihn nieder und brachte seine Knie zum Zittern. „Was hast du gesagt?", fragte er, als die Stimme des Kommandanten wieder an sein Bewusstsein drang. „Ich sagte, dass im. ganzen System nur rund hundert Wachschiffe patrouillieren und dass sie uns nicht behelligen werden, weil wir dich und die Saltans an Bord haben."
„Sind hundert Wachschiffe viel?"
„Nein, das ist sehr wenig. Der Rest der Flotte befindet sich im Orbit des Planeten Vision, bei den Pangalakti schen Statistikern."
Der Kommandant drückte einige Knöpfe. Die Sterne auf dem Bildschirm wurden von einem großen blauweißen Planeten abgelöst. „Jetzt muss ich nur noch wissen, wo wir landen sollen." Tieger zeigte mit dem Finger auf den Schirm. „Lande vor dem Palast des Prinzenkriegers."
Der Kommandant zögerte einen Moment, bevor er antwortete. „Wie du wünschst, Saltansprecher."
Die Gläserne Stadt glitzerte wie die Oberfläche eines riesigen Sees, als der Sternenkreuzer vor dem Palast des Prinzenkriegers Soner aufsetzte. Tieger betrachtete den Bildschirm, suchte vergeblich nach Anzeichen einer Gegenwehr oder Hinweisen darauf, dass man ihre Anwesenheit überhaupt bemerkte. Der Palast lag so ruhig vor ihnen, als sei er ausgestorben. „Wie lauten deine Befehle?", fragte der Kommandant. Seine Stimme klang nervös.
Tiegers rechte Hand begann zu zählen. Er hatte sich die gleiche Frage während der ganzen Reise gestellt, doch eine Antwort wusste er nicht. Es war mehr Verzweiflung als durchdachtes Handeln, was ihn schließlich antworten ließ. „Öffne die Schleusen der Frachträume!", sagte er leise. Der Kommandant gab die Anordnung durch eine Geste weiter. Irgendwo im Bauch des Diskusschiffs schob sich Metall übereinander, als die Türen des Frachtraums geöffnet wurden. Tieger glaubte, dass Zischen der Saltans zu hören und die Freude zu spüren, mit der sie der Freiheit entgegenglitten. Er wandte sich vom Bildschirm ab, begierig, ihnen zu folgen.
Die Stimme des Kommandanten hielt ihn zurück. „Willst du, dass wir hier warten, Saltansprecher?" Ihm war anzusehen, dass er keine positive Antwort wünschte. „Ja." Tieger ging zur Tür, die sich lautlos vor ihm öffnete. Einer plötzlichen Eingebung folgend, drehte er sich noch einmal um.
Er gab den Saltans einen kurzen Befehl und sah den Kommandanten an. „Sie warten mit dir. Wenn du fliegen tust ohne mich, werden sie böse."
„Das würde ich nie ..." Die Tür schloss sich und beendete seine Beteuerungen. Tieger ging den Korridor entlang. Sein Herz schlug wild und unkontrolliert. Seine Zahlenhand bewegte sich ununterbrochen, zählte die Türen in der Wand, die dunkelblauen Paneele
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