2145 - Gestrandet auf Vision
„Es ist ein Asteroid", sagte die Mago. „Sein Kurs deutet auf Zabar-Ardaran."
Kewin schloss die Augen. Noch immer war das dreidimensionale Bild in seinem Kopf gegenwärtig. Er konzentrierte sich auf den winzigen Himmelskörper zwischen dem siebten und sechsten Planeten. Die Membran erfasste mühelos die Daten. Das Gebilde besaß einen Durchmesser von der Größe eines kleinen Gebirges. Es kam dem sechsten Planeten so nahe, dass es von dessen Anziehungskraft erfasst wurde. Sie reichte nicht, den Asteroiden in einen Orbit zu ziehen. Die Bahn veränderte sich jedoch so stark, dass der Asteroid auf Zabar-Ardaran zuhielt.
Blitzschnell berechnete Kewin Kirrik die Flugzeit. Der Asteroid kreuzte die Bahn des dritten Planeten zu einem Zeitpunkt, da Zabar-Ardaran sich genau am Kreuzpunkt befand. Das bedeutete eine Kollision in sieben Monaten und achtzehn Tagen. Mühsam drängte der Cyno die Eindrücke der Membran zurück. Einen winzigen Augenblick lang schien es ihm, als zöge sie sich zu einem dünnen Schlauch zusammen, der in seinem Kopf verschwand. Er rollte sich auf den Rücken. „Es darf nicht sein", ächzte er. Es machte alles zunichte, was sie bisher aufgebaut hatten.
Für sie selbst bestand keine unmittelbare Gefahr. Ihr Überlebenspotential überstieg das herkömmlicher Planetenbewohner um ein Vielfaches. Die Möglichkeiten der Einsatzanzüge und ihrer Technotroniken garantierten ihnen körperliche Unversehrtheit selbst für den Fall, dass der Planet auseinander brach.
Die Zivilisation der Ahhani jedoch würde die globale Katastrophe nicht überleben. All das, was sie in zweihundertzwanzig Jahren aufgebaut hatten, hörte mit einem Mal auf zu existieren. Die aktuellen Projekte standen vor dem Aus, etwa Bikarras Rohrbahn. Sie diente zur Verbesserung der Infrastruktur, dem schnelleren Transport von Personen und Waren, wie er mit den alten Karren nicht möglich gewesen wäre. Die Metropole zählte inzwischen 300.000 Einwohner bei stetig steigender Geburtenrate, Die medizinischen Fortschritte der vergangenen sechzig Jahre hatten die Kindersterblichkeit fast auf null gesenkt. Die Lebensspanne der Ahhani war im selben Zeitraum um dreißig Prozent gestiegen.
Da war aber auch der Turm, den die Cynos mitten im neuen Tempel auf dem Fundament der unterirdischen Kammer errichteten. Fünfzig Meter Höhe sollte er erreichen, ein Refugium für die Cynos, ein Hort der Sammlung - vor allem aber ein Resonanzraum für die Membran. Er würde die globale Katastrophe ebenfalls nicht überstehen.
Und der alte Tempel, in dem sie sich bis vor kurzem immer wieder getroffen hatten, war dem plötzlich auftretenden Resonanzphänomen zum Opfer gefallen und eingestürzt. Kamattagira hielt das Wachsen der Membran für die Ursache.
Danach trafen sie sich jedes Mal im Freien. Sie entdeckten, dass die Membran unter freiem Himmel schwächer wirkte als in geschlossenen Räumen.
Nach einer Idee Jar Anadas fingen sie mit dem Turmbau an.
Jetzt sollte auch das umsonst sein. Hastig setzten sich Kewin und Kamattagira mit den Gefährten in Verbindung. Gemeinsam mit den Ahhani wollten sie das Unmögliche versuchen. Vielleicht schafften sie es bis zum ersten Propellerflugzeug, wenn sie die Gewinnung von Erzen und die Erzeugung von Metallen mit ihren eigenen Mitteln betrieben und den Ahhani lediglich den Transport überließen, ähnlich, wie sie es beim Rohrbahnprojekt handhabten. Die Technotroniken deklassierten solche Vorstellungen zur Utopie und rechneten ihnen vor, dass es mindestens zwanzig Jahre dauerte, ein solches Vorhaben zu verwirklichen.
Sie brauchten Hilfe, Hilfe von außen. Von diesem Augenblick an saßen sie die meiste Zeit des Tages und der Nacht zusammen und lauschten ins All hinaus. Ihre Membranen wuchsen in dieser Zeit ins Unermessliche. Manchmal richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Oberfläche Zabar-Ardarans.
Dann nahmen sie die Ströme der Flüchtlinge wahr, die Kewin Kirrik in die Berge schickte. Andere Flüchtlinge suchten die Küste auf, wo sie in Höhlen Zuflucht suchten. Das Volk der Ahhani besaß nur dann eine Überlebenschance, wenn es sich so gut wie möglich über den Kontinent und die Inselwelt verteilte. Dennoch würden die meisten von ihnen bei der Kollision sterben, weit über neunzig Prozent.
Die Cynos mussten nach der Katastrophe von vorn anfangen, unter erschwerten Bedingungen und den bohrenden Fragen der Überlebenden, warum sie das Ende der Welt nicht aufgehalten hatten.
Unter Reto Norauds Anleitung
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