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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
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war ja noch jung, sie begriff kaum etwas von alldem, was er da keuchend ausstieß. Und wollte sie es überhaupt begreifen? Nein! Denn es waren ja die Ausflüsse des verfluchten Tumors in seinem Schädel, hinter seinem Auge.
    Fluchend wich sie zurück. Ein paar Atemzüge lang lehnte sie an der gegenüberliegenden Wand. Sie starrte das Schlüsselloch an, lauschte dem Gestammel jenseits der Kajütentür. Schließlich hielt sie sich die Ohren zu, wandte sich ab und stolperte die Treppe hinauf auf das Außendeck.
    Der Wind blies ihr ins Gesicht, sie schmeckte die salzige Luft. Im Westen berührte die rötliche Sonne den Horizont, auf der anderen Seite des Schiffes knallte die Frucht eines Baobabbaums auf den Boden. Keetje hastete zum Heck des Schiffes. Vor der obersten Stufe der Treppe blieb sie stehen und blickte sich um.
    Zwei Männer hockten noch vor einem Unterstand im Schatten eines Baobabs. Der Schatten war so lang wie ein Fluss und verlor sich in der Steppenlandschaft. »Haut ab!«, rief sie den kranken Männern zu. »Kommt in ein paar Wochen wieder! Der Meister…!« Sie unterbrach sich und suchte nach Worten. »Der Meister spricht mit Kukumotz, das kann dauern!« Die Männer rührten sich nicht.
    Die beiden waren die Letzten, die noch ausharrten, alle anderen Kunden hatten aufgegeben in den letzten fünf Tagen.
    Die Hälfte von ihnen war zurück in die Fischerdörfer an der Küste gezogen. Die andere Hälfte hockte in der Nähe von Yessus’ Zelt und hoffte Hilfe bei dem alten Heiler zu finden.
    Der war natürlich nicht ganz dumm und nutzte die Gelegenheit. Von den fünfzehn oder zwanzig Leuten, die er durch Yanns Erkrankung zusätzlich behandeln konnte, verdiente er genug, um für Monde faul, berauscht und satt am Strand liegen zu können. Keetje stieß einen Fluch aus und spuckte über die Reling hinweg in ihren Kräutergarten.
    Fünfhundert Meter rechts und fünfhundert Meter links des Heilerzeltes standen Dampfrouler, weideten Efrantenvögel und brannten Lagerfeuer. Die Abgesandten der Kriegskönigin Chenna und des Kriegshäuptlings Wyluda lagerten dort. Der Schaitan mochte wissen, worauf sie warteten. Keetje wusste es nicht.
    Das Kreischen der Möwen erfüllte die Luft, ihre Silhouetten schossen durch den Abendhimmel. Die Abfälle aus beiden Lagern hatten sie angelockt. Die Sonne versank hinter dem Horizont, und jetzt sah Keetje Gestalten näher kommen. Sie setzte sich auf die oberste Stufe und wartete.
    Es waren zwei Gruppen, vier Menschen insgesamt. Zwei Männer und zwei Frauen: die Zwillingsbrüder, die Yessus als seine neuen »Haudegen« vorgestellt hatte, und die beiden schwarzen Amazonen aus dem Süden der Insel.
    »Was wollt ihr?«, fauchte Keetje sie an. »Habt ihr ein verdammtes Schmerzmittel?«
    »Unser Kriegshäuptling wartet«, sagte einer der Riesenkerle. »Hat er sich Wyludas Angebot noch einmal überlegt?«
    »Was redest du!«, blaffte Keetje. »Er hat rasende Kopfschmerzen, er kann sich nicht einmal überlegen, ob er liegen oder stehen soll, verdammt! Habt ihr nun ein Schmerzmittel oder nicht?«
    Die schwarzen Kerle antworteten nicht. »Ihr auch nicht?«, zischte das Mädchen in Richtung der Amazonen.
    »Wir haben uns das durch den Kopf gehen lassen«, sagte eine der Kriegerinnen. »Am besten, wir nehmen den Meister mit zur obersten Ratshexe unserer Kriegskönigin. Die wird ihn schon heilen.«
    »Verzieht euch!« Keetje spuckte aus. »Kommt wieder, wenn ihr ein Schmerzmittel habt. Wer uns das wirksamste Mittel bringt, mit dem kommen wir ins Geschäft.« Keetje stand auf und stapfte über das Oberdeck zurück zur Luke ins Unterdeck, schlug sie hinter sich zu und verriegelte sie.
    Auf der Treppe blieb sie stehen und lauschte. Nichts zu hören. Auf leisen Sohlen nahm sie Stufe um Stufe. Yann Haggard schien verstummt zu sein. Das beunruhigte Keetje außerordentlich. Sie huschte zu seiner Kajütentür und stieß sie auf.
    Yann lag nicht mehr auf seinen Decken. Er hatte den rechten Fuß auf einen Hocker gestellt und war eben im Begriff, selbigen zu besteigen. Und über dem Hocker hing eine Seilschlinge von einem Deckenbalken…
    ***
    Bis lange nach Mitternacht lag Matt schlaflos. Alles Mögliche schwirrte ihm im Kopf herum. Aruula zum Beispiel – wo befand sie sich? Warum hatte Victorius nicht die kaiserliche Wolkenstadt angeflogen, nachdem er mit seinen Passagieren von Australien aufgebrochen war? Und was war mit Rulfan?
    Konnte es denn wirklich sein, dass einen abgebrühten Kämpfer wie ihn von
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