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215 - Die Macht des Sehers

215 - Die Macht des Sehers

Titel: 215 - Die Macht des Sehers
Autoren: Jo Zybell
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einem Augenblick zum anderen so vehement die Liebe erwischte, dass er ihr ursprüngliches Vorhaben vergaß?
    Oder trieb ihn wirklich nur die Sorge um seine Lupa?
    Irgendwann stand Matt in Gedanken plötzlich auf dem Außendeck der U.S.S. HOPE. Der Zeitstrahl hatte den Flugzeugträger erwischt und in die Zukunft geschleudert, lange vor dem Kometeneinschlag. Die Besatzungsmitglieder standen ihm vor Augen. Brand Clarkson zum Beispiel – der Matrose, der sich innerhalb von fünf Tagen von einem Mann in den besten Jahren in einen Greis verwandelte und in kürzester Zeit zu Staub zerfiel.
    Matt fuhr hoch und verscheuchte das schreckliche Bild.
    Doch sofort drängte sich ihm ein anderes auf: das Bild des noch jungen und höchst vitalen de Rozier; das Bild des Mannes, der nichts davon wissen wollte, dass er nur noch dreiundzwanzig Tage zu leben hatte. Inzwischen waren es sogar nur noch zweiundzwanzig.
    Matt Drax stand auf und trat ans Fenster. Unter der Stadt war alles dunkel. Das Geschrei von Tieren drang aus dem Dschungel am Seeufer zu seinem Fenster herauf. Sterne glitzerten in einem halb von Wolken bedeckten Nachthimmel.
    Der Scheinwerferstrahl einer starken Lampe strich als Lichtsäule durch eine tief hängende Wolkenbank. Kein Geräusch war zu hören, die ganze Stadt schlief.
    Der Mann aus der Vergangenheit zog sich an. Es hatte keinen Sinn, noch weiter auf den Schlaf zu warten. Er wollte nach draußen gehen, ein wenig durch die Stadt spazieren, frische Luft schnappen. Vielleicht bekam er so seinen Kopf wieder frei.
    Matt Drax verließ sein Zimmer. Am Palasteingang wechselte er ein paar Worte mit den Wachen. Die behandelten ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und ließen ihn passieren. Im künstlichen Park federte der Weg aus Kork leicht unter seinen Stiefelsohlen. An einem Springbrunnen blieb er stehen und lauschte dem Geplätscher. Das beruhigte.
    Nur wenige Laternen brannten in der Stadt. Ohne Flamme, wie Matt erstaunt registriert hatte: In den Glaskuben wimmelten phosphoreszierende Insekten, großen Glühwürmchen gleich. Offenes Feuer war hier offenbar verboten. Kein Wunder in einer Stadt, die auf einem Gasballon ruhte.
    Im Park mussten Mond und Sterne als Beleuchtung ausreichen. Als sich Matts Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er die Gestalt eines Mannes sich von einer Parkbank erheben. »Guten Morgen, Monsieur Drax!«
    Es war de Fouchés Stimme. Matt Drax erwiderte den Gruß und ging zu ihm. »Ich finde keinen rechten Schlaf«, sagte Matt.
    »Sie auch nicht?«
    »Ich brauche nicht viel Schlaf, Monsieur Drax«, sagte de Fouché, der ebenfalls des Englischen mächtig war. »Die Nacht ist für mich die beste Arbeitszeit. Der gestirnte Himmel über und der lärmende Dschungel unter mir – das inspiriert mich zu den besten strategischen Gedankenspielen.« Er berührte Matt an der Schulter. »Kommen Sie, mein Lieber, lassen Sie uns ein wenig durch die Nacht laufen. Wie gefällt Ihnen unsere prächtige Hauptstadt?«
    »Ich bin tief beeindruckt, Monsieur de Fouché…«
    Gemeinsam schlenderten sie aus dem Park in die Stadt hinein, durchquerten den innersten und mittleren Kreis der Wolkenstadt. Doch lange hielt der Mann aus der Vergangenheit sich nicht lange mit Small Talk auf.
    Ein Entschluss war in ihm gereift: Er wollte auch de Fouché davon überzeugen, welche Gefahr dem Kaiser drohte. Der von ihm selbst eingesetzte Kriegsminister würde de Rozier seine Situation gewiss noch eindringlicher vermitteln können als die kaiserliche Leibgardistin.
    »Ich bin froh, Sie getroffen zu haben, Monsieur de Fouché«, begann Matt Drax. »Und ich möchte Ihnen den Grund für meine Schlaflosigkeit erläutern. Er hat… politische Dimensionen.«
    Der Kriegsminister blieb stehen und zog die Brauen hoch.
    Inzwischen hatten sie die Südwestseite von Wimereux-à-l’Hauteur erreicht. Im Mondlicht zeichneten sich die Umrisse des Aufzugsschachtes ab.
    Auch der Mann aus der Vergangenheit blieb stehen. »Der Kaiser ist in großer Gefahr«, sagte Matt rundheraus. Er sah dem Kriegsminister in die Augen. »Er hat noch höchstens zweiundzwanzig Tage zu leben.«
    De Fouché wich einen Schritt zurück, als hätte er unerwartet etwas erblickt, das ihn erschreckte. »Was sagen Sie da?«, flüsterte er. Seine Augen weiteten sich. »Wie können Sie so etwas Schreckliches behaupten, Monsieur!« Er blickte sich nach allen Seiten um, als fürchtete er Zuhörer.
    »Ja, es ist schrecklich, ich weiß.« Matt nickte langsam.
    »Aber es ist wahr,
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