2153 - Die Tributschmiede
jederzeit trockenen Fußes erreichen und auch verlassen. Sie konnte das nicht. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf dem Wege zu seinem Gleiter dem Regen auszusetzen. Er sank in die Polster, dachte kurz nach und flog zum Finanzzentrum zurück.
Wiederum landete er auf der Plattform, die für ihn reserviert war. Dann aber begab er sich nicht auf direktem Wege zu seinen Büros, sondern ging einen Umweg. Can Jumptey verfolgte keine bestimmte Absicht. Er liebte die Inspektionen jener Abteilungen, die sich seinem Direktionsbereich nicht direkt anschlossen. Auf diese Weise hatte er schon manche interessante Information erhalten. In dieser Nacht schien einiges anders zu sein als sonst.
Das Innere des Gebäudes stellte sich ähnlich dar wie die Tributkastelle, auf denen er vor einigen Jahrzehnten bereits Dienst versehen hatte. Es präsentierte sich als ein undurchschaubares Gewirr von Korridoren, die sich kilometerweit durch ein dreidimensionales Labyrinth zu winden schienen, mal steil anstiegen, dann wieder scharf abfielen, sich teilten, um wenig später wieder zueinander zu finden oder in einer Sackgasse zu enden, ohne dass ein Grund dafür erkennbar war.
Can Jumptey kannte die Gänge schon seit nahezu vierzig Jahren, doch nur selten einmal hatten sie ihn so angesprochen wie in dieser Nacht. Er gewann den Eindruck, dass sie von einem eigenständigen Leben erfüllt seien und die Wände Millionen von Augen hätten, die jeden seiner Schritte, jeden seiner Atemzüge beobachteten. Irgendeine Form von Leben steckte in den Gemäuern. Dessen war er sich sicher. Welche das war, hatte er in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit in diesem Gebäude vergeblich versucht herauszufinden. Oft hatte er sich intensiv bemüht, ohne dem Geheimnis auch nur einen Schritt näher zu kommen.
Einige Male hatte er den Eindruck gehabt, dass die Mauern sich ihm offenbaren wollten. Dann aber wieder hatten sie sich vor ihm verschlossen und nicht die geringste Annäherung geduldet. Gar zu gern hätte er vor seinem Ausscheiden aus dem Amt ein wenig mehr gewusst. Nur eines wusste er mit ziemlicher Sicherheit: Unzutreffend war das hin und wieder auftauchende Gerücht, in den Wänden eines jeden Tributkastells verberge sich ein Inquisitor, ein Vertreter der Inquisition der Vernunft.
Aufgrund seiner hohen Bedeutung und seiner Machtposition gehörte Can Jumptey zu den wenigen Personen die sehr selten nur, aber immerhin! - von einem Inquisitor persönlich zu einem Gespräch geladen worden waren. Von diesen Begegnungen wusste er nur zu gut, wie es war, vor einem Inquisitor zu stehen, und welche Gefühle dabei aufkamen. Sie waren unangenehm, sie waren fast schrecklich. Aber ... sie hatten nichts mit dem zu tun, was er auf seinem Weg durch die gewundenen Gänge des Finanzzentrums empfand, nicht das Geringste.
Hin und wieder blieb er stehen und legte seine Hände an eine der Wände. Das Material des Gemäuers schien Unter ihnen zu vibrieren und seinem Druck zugleich nachzugeben. Tatsächlich sanken seine Hände jedoch nicht ein, und wenn er sie zurückzog, blieb keine Delle in der Wand. Er kam dem Geheimnis keinen einzigen Schritt näher, und je mehr er sich mühte, das Rätsel zu lösen, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass er es nicht mehr vor seinem Ausscheiden aus dem Amt schaffen würde. Von Anbeginn an seiner Tätigkeit in diesem Haus beschäftigte er sich mit dem seltsamen Inneren des muschelförmigen Gebäudes, und es war mehr als unwahrscheinlich, dass er dem Geheimnis ausgerechnet in den letzten Stunden auf die Spur kommen würde.
Als er sich seinen Büroräumen näherte, kam ihm ein E'Valenter entgegen, ein Offizier der Geheimpolizei. Der Mann grüßte nicht nur mit dem gebotenen Respekt, ihm war anzumerken, dass er sich geradezu vor ihm fürchtete. „Was gibt es?", fragte Can Jumptey kühl und scheinbar desinteressiert. „Eine Gruppe von Gewährsleuten des Trümmerimperiums ist mitten in der Stadt aktiv geworden", meldete der Mann. Er war klein und unauffällig. „Soweit wir bisher herausgefunden haben, steht die Gruppe unter dem Kommando eines Medilen namens Grau Loco. Er tritt in Celon-Kanta als Handelsreisender auf."
„Wie viele Gewährsleute sind es?"„N ach bislang vorliegenden Informationen zwischen zwölf und zwanzig Personen. Sie scheinen mit den Störungen der öffentlichen Sicherheit, die wir schon seit Jahren beobachten, nichts zu tun zu haben. Noch ist nicht klar, welche Ziele sie verfolgen." Der Oberste Finanzverwalter
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