216 - Jenseits von Raum und Zeit
Und als der grobschlächtige Leib des Barbaren endlich in das blaue Leuchten hineinstieß, umfing ihn Gilam’eshs Aura und drang in seinen Schädel, in seine Hirnwindungen ein. Gemeinsam rasten sie durch ein Labyrinth aus Lichtfasern und Farbwirbeln. Die Stimme des Fremden raunte: Vorbei. Vernichtet, vergangen, vorbei!
Jäh lag das fremde Bewusstsein vor Gilam’esh wie weites, offenes Land. Er konnte es betreten, konnte gehen, wohin er wollte. Es war ein Bewusstsein voller Todessehnsucht. Um sich zu töten, war der Patrydree also ins Tunnelfeld geschwommen!
Er hieß Martok’aros. Unter Seinesgleichen hatte er als ein wilder, mächtiger Kämpfer gegolten, der den Titel Schrecklicher Kriegsmeister trug. Er war der letzte noch lebende Hydree des Rotgrunds gewesen.
Je tiefer Gilam’esh in das fremde Land seines Bewusstseins vordrang, desto mehr Bluttaten und Gräuel sah er, und desto mehr Wut und Mordlust spürte er. Entsetzt zuckte er zurück.
Im nächsten Moment tauchte der Körper des Patrydree zwischen Tunnelfeldöffnung und tiefblauen Meereswogen ins helle Licht. Zwei Dutzend Längen unter ihm tauchte der wilde Hüne in die Wogen eines fremden Ozeans ein.
Gilam’esh blieb im Strahl zurück. Er hatte sich nicht halten können in dem fremden Gehirn. Zu widerwärtig war ihm das Bewusstsein des wilden Kriegsmeisters gewesen, zu lebensfeindlich.
Sehr langsam schwebte seine Aura wieder aufwärts. Er fühlte sich ausgelaugt und erschöpft. Eine große Gleichgültigkeit erfasste Gilam’esh.
Wie tot glitt er am Schattenfeld des großen Dickzahn-Wulrochs und dem des Containers dahinter vorbei. Viele Umläufe lang trieb er kraftlos hin und her zwischen dem toten Gewässer in der Haupthöhle der Tunnelfeldstation und dem warmen Ozean am Zielpunkt des Strahls: zwischen dem Rotgrund und Ork’huz, dem schönen Planet, den der Maddraxgeist »Erde« genannt hatte.
Ungezählte Umlaufe vergingen – waren es Hunderte? Oder gar Tausende? –, bis er wieder Kraft genug fand, sich an einem der Schattenfelder festzuhalten.
***
Irgendwo über dem Indischen Ozean, 3. April 2524
Sie wurden durchgeschüttelt, als pendelte die Roziere in einem Schacht von einer Wand gegen die andere. Das Holz ächzte und die Fugen krachten, dass Matt Drax glaubte, die Roziere würde jeden Moment auseinander fallen.
De Rozier hatte sein Luftschiff bis auf eine Flughöhe von knapp drei Kilometern manövriert, doch noch immer warfen Orkanböen die Gondel hin und her. Es gab keine Ruhe mehr, keinen Augenblick, in dem man hätte neue Kraft schöpfen können. Der Sturm heulte durch die Ritzen, die Konstruktion knarrte, Seilwinden und Propellerscharniere quietschten, und die Dampfmaschine stampfte unter Höchstlast.
De Rozier hielt das Ruder fest und versuchte das Fluggerät auf einem einigermaßen stabilen Kurs zu halten. »Weiter!«, rief er. »Wir müssen noch höher hinauf!« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Brennzelle und den schwindenden Stapel der Brennstoffbarren zwischen den Materialkisten.
Matt Drax schob erneut vier Barren in die Brennzelle, knallte die Kesseltür zu und hielt sich am Griffbügel neben der Schalttafel fest. Sein Blick fiel auf die Armaturen: Der Dampfdruck im Kessel stieg langsamer als er sollte, und der Wasserstandsanzeiger sank unaufhaltsam der roten Linie entgegen.
»Wir müssen bald wieder frisches Wasser aufnehmen!«, rief er gegen das Stampfen der Kolben, das Brummen des Propellers und das Heulen des Sturmes an.
Der Kaiser winkte ab. »Notfalls haben wir noch Trinkwasser an Bord.« De Rozier klopfte auf das halbleere der beiden 500-Liter-Fässer. »Jetzt müssen wir erst einmal unsere Haut retten und aus der Gewitterfront steigen!«
Matt Drax ließ den Griffbügel los, lief zum Brennstoffstapel und packte die nächsten vier Barren. Seine Stirn legte sich in sorgenvolle Falten, als er die Brennstoffvorräte betrachtete. Ursprünglich waren die Pads bis zur Decke gestapelt gewesen, jetzt reichten sie ihm nicht einmal mehr bis zur Brust. Er lief zurück zum Ofen, öffnete ihn und warf die Barren hinein.
Wieder ein Blick auf die Armaturen. »Dreitausendsechshundert Meter!«, rief er. »Wir steigen schneller!«
»Noch nicht schnell genug!« Der Kaiser deutete auf eines der Fenster. Blitze erleuchteten den Nachthimmel im Sekundentakt, die Wolken hatten sich zu feindlichen Gebirgen zusammengeballt. Immer wieder ertönten ohrenbetäubende Donnerschläge, und unter den Anwürfen der Orkanböen schwankte das
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