2170 - Das Reich der Güte
große Dichter Dag Lesedems später den Ausdruck „dindern" erfinden sollte: Ich nickte zustimmend, obwohl ich mir rein gar nichts merkte davon, was Keepige mir zu erklären versuchte. „Das Wesentliche", fasste Tirotu in der Gondelkabine des Staubgleiters zusammen, der uns zu unserem außerhalb der Sphäre wartenden AGLAZAR brachte, „waren folgende Begriffe: zwei Wunderknaben - hochgehen - einführen - unbedingt Folge leisten."
„Kamerad Rixte", sagte ich kategorisch. „Denk nicht mal daran."
Abgesehen von diesem Spannungsverhältnis kamen Tirotu und ich sehr gut miteinander zurecht. Offiziell sollten wir auf dem Planeten Celona, einer Valenter-Welt im Trapitz-System, nur einige technische Anlagen überprüfen. Doch wir gerieten mitten in einen Aufstand, der sich gegen die gesamte Thatrix-Zivilisation richtete. Konnte so etwas möglich sein? Die bürgerkriegsähnlichen Zustände erschütterten mich bis ins Mark. Ich sah Schulkinder, die von Bomben zerfetzt wurden. Stadtviertel, von Heckenschützen zu Ruinenfeldern zerschossen. Ganze Landstriche verseucht, innerhalb weniger Gefrin unbewohnbar gemacht durch terroristische Anschläge mit chemischen und biologischen Kampfstoffen. „Sieht nicht gut aus", meinte Tirotu trocken. Die Gesellschaft von Celona war in zwei etwa gleich starke Fraktionen gespalten. Die eine sympathisierte mit den Terroristen und wollte die Loslösung von der Thatrix. Die andere war VAIA treu.
Beide Parteien hatten in der letzten Zeit exzessiv aufgerüstet. Eine planetare Entscheidungsschlacht stand unmittelbar bevor. Ich war verstört, wie gelähmt. „Was sollen wir tun?", fragte ich Tirotu. „Mit unserem AGLAZAR die Reichstreuen unterstützen? Das gäbe ein Massaker!"
„Was mit Sicherheit nicht im Sinne des Verkünders wäre", bestätigte mein Partner, „Nein, mein Lieber. Wir benutzen das Schlachtschiff sehr wohl als Druckmittel, aber nur, um beide Fraktionen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Das ist die übliche Vorgangsweise in solchen Fällen."
„Willst du damit sagen, derlei geschieht öfter?"„Statistisch gesehen sehr selten. Aber angesichts von acht großen, dicht bevölkerten Galaxien kannst du dir wohl vorstellen, dass wir derzeit nicht das einzige Team im Kriseneinsatz sind." Die bilateralen Verhandlungen gestalteten sich schwierig und langwierig, trotz des Respekts, den uns die Valenter entgegenbrachten.
Es war fast ein wenig wie damals im Raumhafen von Siv'Kaga, als ich den Streit zweier Prymbos schlichtete. Nur bedeutend komplizierter. Nach längerem Hin und Her stellte sich heraus, worin der eigentliche Grund für die Unruhen lag: Die planetare Finanzbehörde von Celona erhob seit einiger Zeit überhöhte Steuern, die viele der Bewohner an den Rand des Ruins brachten. Raffinierterweise begründete die Regierung diese horrenden Abgabenerhöhungen mit so genannten Netto-Zahlungen an die Gemeinschaft der Thatrix und die Calditischen Paläste. Das war zwar in dieser Form unrichtig, lenkte aber den Volkszorn von der korrupten Valenter-Regierung ab.
Die Massenmedien, die sich, ebenso wie die gesamte planetare Rüstungsindustrie, fast vollständig im Besitz von Regierungsmitgliedern befanden, hatten die Wut auf VAIAS Verkünder seit langem durch gezielte Kampagnen angeheizt. Mich schauderte, als ich die Zusammenhänge begriff. Diese Mächtigen provozierten ganz bewusst einen Bürgerkrieg und nahmen unzählige Tote in Kauf - nur um ihre Gewinne aus dem Waffenhandel zu optimieren! Klar, dass diese Seite ihr Möglichstes tat, die Verhandlungen zu verschleppen und eine friedliche Lösung zu sabotieren. Sie hatten darüber hinaus Provokateure in beide Lager eingeschleust, welche die vernünftigeren Stimmen bei jeder Gelegenheit überschrien. Schließlich lösten wir das Problem mit einem Lied.
Es war ein ganz simples, für unsere Ohren eher grässlich klingendes Volkslied der Valenter. Doch wir sendeten es eine ganze Gefrin lang, über sämtliche Rundfunkund Trivid-Anstalten des Planeten. Die ich über die Tymdit des AGLAZARS fernsteuerte. Ebenso wie jedes einzelne Musikabspiel- oder Telekommunikationsgerät. Die Bevölkerung interpretierte das als gut gemeinten, jedoch naiven und aussichtslosen Friedensappell. Den Drahtziehern des Konfliktes aber machten wir damit unmissverständlich klar, dass wir die Möglichkeit besaßen, ausnahmslos alle Celoner über die wahren Hintergründe aufzuklären. Das hätte zwar ziemlich sicher ebenfalls zu einem Bürgerkrieg geführt -
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