2181 - Die Liebenden der Zeit
„Kokonlagerung" hieß der Vorgang, der Sonnen und Planeten der Kollision mit Schwarmmaterie entzog. Jeder Durchflug der wandernden Kleingalaxien durch eine Sterneninsel hätte andernfalls unermessliche Schäden hinterlassen, von den nicht mehr in Zahlen auszudrückenden Todesopfern ganz zu schweigen. Sie lebte in einer schönen und friedlichen Welt.
Erst als Umbaria einen kühlen Windhauch spürte, erkannte sie, dass der Transport den Innenhof erreicht hatte. Geomm war dicht bebaut, die Fabrik bot weitläufige Wohnbezirke ebenso wie Freizeitanlagen für gewöhnlich brauchte niemand die gläserne Umgebung zu verlassen. Die drei Brunnenschalen schwebten, von Antischwerkraftfeldern gehalten, knapp über dem Stahlboden. Ringsum das Rund aufstrebender kühner Fassaden, die sich zwischen den Wolken verloren. Das Sonnenlicht wurde von Millionen Facetten gebrochen und gleichmäßig verteilt. Früher, glaubte die Technikerin, hatte sich hier eine endlose Ebene erstreckt, hatten sich Pflanzen im Wind gewiegt und weite Wasserflächen den Sonnenschein ebenso wie des Nachts das Licht der Sterne gespiegelt. Welch aberwitzige Fantasie...
In dem Moment war sie da: Eine gewaltige kobaltblaue Walze sank lautlos und ohne jegliche Emission aus der Höhe herab. Das war kein Ritterschiff, dieser Raumer gehörte den Kosmokraten. Umbaria wagte kaum mehr zu atmen, die Stille ringsum hatte etwas Unwirkliches und zugleich Erhabenes. Hoch über ihren Köpfen verharrte das Walzenschiff. Gleichzeitig begann die Luft rings um eine der Brunnenschalen zu flimmern. Noch während die Technikerin versuchte, Einzelheiten zu erkennen, verschwand die Erscheinung wieder - und mit ihr das kostbare versiegelte Potenzialfeld. Augenblicke später die zweite Brunnenschale. Der Vorgang nahm die Dauer eines Atemzugs in Anspruch, nicht länger.
Auch der dritte konservierte Zeitbrunnen verschwand spurlos, als hätte er nie existiert. Dann beschleunigte die blaue Walze. Innerhalb, weniger Sekunden schrumpfte sie zur Bedeutungslosigkeit und verschwand gleich darauf vollends. Umbaria fühlte eine grenzenlose Enttäuschung. Sie hatte gehofft, einmal im Leben einem Kosmokraten gegenüberstehen zu dürfen. Aber offenbar legten die Hohen Mächte des Kosmos wenig Wert auf Kontakt. Solange alle ihre Wünsche und Anordnungen ausgeführt wurden, hatten sie keine Veranlassung dafür. Die anderen Algorrian und die Roboter waren schon gegangen. Die Technikerin folgte ihnen zögernd, und diesmal öffneten sich keine energetischen Korridore vor ihr, die ihr erlaubten, jegliche Materie zu durchschreiten.
Mehrmals hielt sie kurz inne und wandte sich um. Dann bildete sie sich ein, ein fremdes Land zu sehen, wie es in ihren Träumen existierte. Aber da war nur die Fabrik, die gigantische gläserne Maschinerie, die Hunderttausenden Algorrian eine perfekte Heimat bedeutete.
Im Laufe vieler Jahre gewann ein neues Potenzialfeld Gestalt. Schon die Vorarbeiten waren gigantisch: Riesige Aggregatblöcke in der Größe mehrstöckiger Wohnhäuser wuchsen in den Hallen, viele im Aussehen und der Funktionsweise grundverschieden. Es waren Hunderte allein in diesem Abschnitt der Fabrik, deren Entstehen Umbaria verfolgen konnte. Roboterheere arbeiteten Tag und Nacht, und die Algorrian wechselten in mehreren Schichten. Ohne die an Ort und Stelle vorgenommene Energie-Materie-Verdichtung wäre der Bau unmöglich gewesen. Aber auch so traten aller Perfektion zum Trotz immer wieder Probleme auf. Die riesigen Aggregate wurden zu Dutzenden entstofflicht und zusammengefügt, in Raum-Zeit-Falten gelagert, und auf dem Platz, den sie vorher eingenommen hatten, wuchsen bereits neue Komplexe.
Hoch sensibel die Produktionsabläufe, auf den Bruchteil eines Mikrons aufeinander abgestimmt. Irgendwann konnte Umbaria nur noch in Holodarstellungen verfolgen, wie mehrere tausend Blöcke zusammengefügt wurden. In dieser Zeit, in der sie selbst kaum Schlaf fand und das erste grüne Leuchten des entstehenden Potenzialfelds aufflackerte, häuften sich ihre Visionen. Sie schrieb es der Anstrengung zu, ihrem fieberhaften Ehrgeiz, alles über den entstehenden Zeitbrunnen zu lernen. Ihre Wahrnehmung wurde überlagert. Erst nur von schemenhaften Bildern, dann intensiver. Wo eben noch Roboter und Algorrian Hand in Hand arbeiteten, erstreckte sich mit einem Mal eine weite Ebene. Blühende Pflanzen wogten im Wind, goldgelbe Halme konzentrierten sich am Rand ausgedehnter Wasserflächen. Die Technikerin, deren Ausbildung mit
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