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219 - Kaiserdämmerung

219 - Kaiserdämmerung

Titel: 219 - Kaiserdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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Bergwälder am Kilmaaro
    Rulfans Blick glitt über die breite Felsenspalte, die sich wie ein klaffender Rachen vor ihnen auftat. Er schätzte sie annähernd dreißig Fuß breit. Sie sah aus, als hätte vor Unzeiten ein Titan mit einer Riesenmachete die bewaldeten Berge mit einem einzigen Hieb geteilt: Glatt wie Glas fielen die Felsen auf der anderen Seite in die Tiefe. Eine Hängebrücke aus Bambus und Seilen verband beide Seiten.
    Zarr und Lay hatten ihm erklärt, dass hier früher einmal ein Handelsweg durchführte. Aber nachdem man weit im Westen eine Brücke aus Holz und Stein gebaut hatte, wurde er nicht mehr genutzt.
    Rulfan beschlich ein ungutes Gefühl: Das Konstrukt sah alles andere als Vertrauen einflößend aus. Die Seilhalterungen wirkten ausgefranst, der Bambus marode, und die Holzbretter am Boden waren stellenweise nicht befestigt. Darunter gähnte ein dunkler Schlund, dessen Grund unter Nebelschleiern verborgen blieb.
    Zarr, der wohl das Misstrauen im Gesicht des Albinos bemerkte, baute sich vor ihm auf. »Nie Brücke geseh’n?«, knurrte er spöttisch.
    Rulfan beschloss, nicht auf die offensichtliche Provokation des Schwarzpelzes einzugehen. Er war schon auf wesentlich gefährlicheren Konstruktionen herumgeklettert. Doch diese hier war seit Jahren nicht mehr benutzt worden, und Rulfan bezweifelte, dass sie der Belastung durch ein Kamshaa oder einen ausgewachsenen Gorilla Stand halten konnte. Wortlos schob er sich an Zarr vorbei, um das Objekt genauer in Augenschein zu nehmen. Plötzlich stürmte Lay heran.
    »Ist nicht gefährlich! Ich zeige es dir!« Bevor Rulfan sie daran hindern konnte, lief sie tanzend und hüpfend bis zur Mitte des hängenden Übergangs. Seile und Holz ächzten und knarrten. Die Brücke schwankte gefährlich. Zarr machte einen Satz an Rulfans Seite. »No!«, flüsterte er heiser. Der Albino glaubte Angst in der Stimme des Zilverbaks zu hören. Irritiert schaute er von ihm zu Lay. Der gefiel es anscheinend, sich von dem hängenden Konstrukt hin und her schaukeln zu lassen.
    »Siehst du, sie wird uns alle tragen!«, rief sie lachend. Um ihrer Behauptung Nachdruck zu verleihen, sprang sie noch einige Meter weiter über die Brücke.
    Ein splitterndes Geräusch ertönte. Lay riss die Arme hoch. Ihr Körper sackte ruckartig nach unten. Rulfan rannte los. Offenbar war eine Holzbohle gebrochen: Lay steckte in der entstandenen Lücke. Ihre Hände suchten Halt an der nächsten Planke, doch vergeblich! Das Brett brach auseinander wie verkohltes Papier.
    Kein Laut kam über Lays Lippen, als ihr Körper durch das Loch stürzte. Nur einen erstaunten Blick aus ihren dunklen Augen nahm der Albino noch wahr. Dann war auch der Kopf seiner Geliebten verschwunden.
    Ein eiserner Ring schien sich um Rulfans Herz zu legen. »Lay!« schrie er verzweifelt. Ohne sich weiter um den unsicheren Untergrund zu scheren, hechtete er vorwärts. »Lay!«
    »Rulfan«, hörte er eine dünne Stimme. »Schnell!« Es war ihre Stimme! Sie trieb den Mann aus Salisbury zu noch größerer Eile an. Vor der Lücke ging er in die Knie, beugte sich über die rissige Kante: Lay hing an einem ausgefransten Seilende, das sich unter einer der Bohlen gelöst hatte.
    Schnell rutschte der Albino auf den Bauch und griff zu. Er bekam ein Handgelenk seiner Liebsten zu fassen. Gleichzeitig spürte er, wie unter seiner Brust die nächste Planke brach.
    Sein Oberkörper kippte ins Leere. Er sah die Holzteile samt dem rettenden Seil in den Abgrund trudeln. Seine Finger umklammerten Lays Handgelenk. Seine Füße suchten vergeblich Halt zwischen den Planken. Wo zum Orguudoo blieb Zarr?
    Rulfan mobilisierte sämtliche Kraft, die ihm noch zur Verfügung stand: Seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Sein Oberkörper hob sich Zentimeter für Zentimeter. Dann krachte es erneut. Für einen Sekundenbruchteil begegnete ihm der Blick aus Lays dunklen Augen. Es ist vorbei!, sagte er ihm. Und er spürte, wie sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu lösen. Sie wollte ihn retten.
    »Nein!«, brüllte Rulfan entsetzt. Im gleichen Moment wurde er von hinten am Gürtel gepackt und mit einem Ruck schmerzhaft nach oben gerissen. Dann zerrten ihn mächtige Gorillapranken Stück für Stück auf sicheren Untergrund.
    Rulfan trug Lay zu einer Grassode und wiegte sie in seinen Armen. Sie zitterte am ganzen Körper. Er vergewisserte sich, dass sie keine schlimmeren Verletzungen als einige Schürfwunden davongetragen hatte.
    Sie streichelte ihm

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