219 - Kaiserdämmerung
Sohn vorbei nach Norden.
Im verschwindenden Licht der Sonne machte er eine Rauchwolke am Horizont aus. Wurden dort immer noch Kadaver von verendetem Vieh verbrannt? Er kniff die Augen zusammen: Die Wolke stieg vom Boden auf und bewegte sich auf das Dorf zu! Das war kein Feuer! »Unheil«, flüsterte er. »Ich habe es gewusst: Das bedeutet Unheil.« Die anderen folgten seinem Blick. Ein Raunen ging durch die Menge.
»Hätten sie nicht einige Minuten früher kommen können? Dann hätten wir ihnen den stinkenden Fisch in ihre Fahrzeuge schütten können«, knurrte eine alte Frau.
Der Dorfälteste sagte nichts mehr. In Windeseile kletterte er den Hang zum Dorfplatz hinunter. Vor den Hütten brannten kleine Feuer. Frauen rührten in Töpfen und Kesseln, Kinder rannten lachend über den Platz. Mehrere Männer besserten neben der größten Hütte am Platz ihre Netze aus. »Na, sind die Fische wieder in den See zurück gesprungen?« Die Männer lachten. Aber nicht lange. Als sie das besorgte Gesicht des Dorfältesten sahen, verstummten sie. Wortlos verschwand der Alte in der Hütte. »Was ist los?«, riefen sie ihm nach.
Dröhnen und Rattern von der nahe gelegenen Straße beantwortete ihre Frage. »Sie kommen also doch noch!«
»Ja, sie kommen. Und sie bringen Unheil, sage ich euch!«, hörten sie den Dorfältesten aus der Hütte rufen. Als er wieder erschien, hob er einen kleinen Ledersack in die Luft. »Hoffen wir, dass diese Jeandors sie fürs Erste zufrieden stellen.«
Langsam schritt er zur Mitte des Platzes, auf der sich inzwischen fast alle Bewohner des Dorfes versammelt hatten. Lichter tanzten von der Straße her durch die Dämmerung. Der Mann mit dem roten Turban zählte ein knappes Dutzend Dampfrouler, deren Ketten sich über den staubigen Weg wälzten. Annähernd drei Mal so viele Männer sprangen von den stehenden Fahrzeugen und näherten sich dem Platz. Alle trugen die blauen Gardistenuniformen von Wimereux-à-l’Hauteur. Alle, bis auf einen.
Der eine schmückte sich mit der blauweißen Uniform der Palastwache. Er war groß und breitschultrig. Als Einziger trug er keine Perücke. Seine schwarzen langen Haare waren akkurat zu einem Zopf gebunden. In seinem erhobenen Arm glänzte ein Säbel. Auf sein Zeichen hin bildeten die Soldaten der Kaiserstadt einen Kreis um die Dorfbewohner.
»Wer ist hier der Verantwortliche?«, rief der bezopfte Hauptmann.
»Ich bin das!« Der Dorfälteste trat vor.
»Wo sind eure Abgaben für Prinz Akfat?« Der Hauptmann kam gleich zur Sache.
»Hier sind die Jeandors – nicht ganz so viel wie verlangt, aber man wird in Wimereux-à-l’Hauteur Verständnis haben für unsere Situation.«
»Verständnis? Prinz Akfat handhabt das ein wenig anders als sein Vater!« Der Zopfhaarige nahm ihm den Beutel aus der Hand. »Was ist mit dem Fang?«
Der Dorfälteste schluckte. Er atmete tief ein, um seiner Stimme einen sicheren Klang zu verleihen. »Für den Fang seid ihr zu spät dran! Wir sind einfache Leute und haben nicht die Möglichkeit, den Fisch über Tage hinweg zu kühlen. Was hat euch aufgehalten?«
Der Hauptmann aus Wimereux schaute den Alten aus schmalen Augen an. »Andere Bauern und Fischer, die wie ihr reich an Ausreden und arm an Jeandors waren!«
Der Mann mit dem roten Turban kam nicht mehr dazu, über den Sinn dieser Worte nachzudenken. Schon brüllte der Anführer der Soldaten einen Befehl über den Platz. Ehe sich die Leute versahen, stürmten die Rekruten in die Hütten. Im Vorbeilaufen stießen sie Töpfe und Kessel von den Herdstellen. Sie wüteten in den Behausungen wie wilde Wakuda. Kleider, Decken und Geschirr wurden achtlos nach draußen geworfen. Frauen schrien auf, Kinder versteckten sich weinend hinter den Röcken ihrer Mütter, und die Männer mussten zähneknirschend mit anschauen, wie die Soldaten aus Wimereux-à-l’Hauteur ihre Häuser verwüsteten.
»Wenn der Kaiser davon erfährt, werdet ihr hart bestraft werden!«, flüsterte der Dorfälteste.
»Der Kaiser wird davon nicht erfahren. Der Kaiser kehrt nicht zurück«, erwiderte der Zopfhaarige.
Erschrocken wich der Alte zurück. »Was redet ihr da?«
Aber der Hauptmann beachtete ihn nicht weiter. »Hey, ihr da! Zündet die große Hütte an! Macht schon!«
Das war zu viel für einige der Männer. Wütend wollten sie die Soldaten daran hindern, die Haupthütte niederzubrennen. Doch sie wurden von einem halben Dutzend Rekruten mit Waffengewalt daran gehindert. »Pfeif sie zurück, wenn dir das
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