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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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europäischer Gelehrter! Man hielt ihn wohl nur seiner blauen Brille wegen für einen solchen; er brauchte es ja trotzdem nicht zu sein. Auch ich hatte solche Brillen bei mir gehabt, um sie aufzusetzen, wenn die Sonnenstrahlen allzu blendend von den hellen Sand- oder Felsenflächen zurückgeworfen wurden. Ich war von dem damals noch kleinen Kara gebeten worden, sie ihm zu schenken, und hatte es getan. Also, die Brille macht noch nicht den Gelehrten; ich habe nie im Leben die Absicht gehabt, ‚gelehrt‘ zu sein, denn es ist mir nie gelungen, mir dieses Wort sympathisch werden zu lassen. Wer aber war dieser Mann? Unser David Lindsay jedenfalls nicht. Nur allein diesem, der sich aber unterwegs nach Schiras befand, konnte die kühne Schrulle beikommen, sich Hals über Kopf einer solchen Hetzpartie nur aus dem Grund anzuschließen, weil es etwas Ungewöhnliches war. Ich sann hin und her, konnte mir aber außer ihm niemand denken, und hielt es darum für das beste, jetzt einmal dem Beispiel Halefs zu folgen, der, wenn es etwas zu erraten gab, sich stets mit der Bemerkung aus der Schlinge zu ziehen pflegt, daß er sich mit der Lösung von Rätseln nicht abzugeben habe.
    Unten im Tal gab es wieder Ruhe; die Schar der Dschamikun, von welcher der Ustad gesprochen hatte, war fortgeritten. Auf dem freien Platz zu meinen Füßen, wo sich unsere Pferde befanden, wurden an den dazu vorhandenen Einfassungsstützen Fackeln aufgesteckt, welche später angebrannt werden sollten. Dann kam der Peder mit einigen Bedienten in den Raum, an dessen Säule ich sitzend lehnte. Er gab leise Befehle. Dann kam er heraus, setzte sich bei mir nieder und fragte: „Der Ustad hat dir gesagt, wer heut noch kommt?“
    „Ja.“
    „Ich weiß, daß du dich auf das Wiedersehen mit dem Sohn freust, und ich hoffe, daß der Himmel den Vater dir erhält. Denkst du, stark genug für diesen schweren Abend zu sein?“
    „Wenn ich will, wird der Körper gehorchen!“
    „Ich habe Befehl erteilt, die Kerzen der Beratung hereinzubringen. Sie werden nur dann angebrannt, wenn die Ältesten des Stammes sich bei dem Ustad befinden, um mit ihm wichtige Angelegenheiten zu beraten. Doch soll auch an dem heutigen Abend der Raum so tageshell erleuchtet sein, wie er es bei diesen Gelegenheiten ist. Ich habe über das Leben des Kranken zu wachen und brauche Licht, um die Schrift seines Angesichts lesen zu können. Was ich verbiete, darf nicht geschehen. Bist du damit einverstanden, Effendi?“
    „Sehr gern!“
    „Wenn er erwacht und aber nicht spricht, so wird er sterben. Findet jedoch seine Seele den Weg zu seinem Mund noch frei, so kann er uns erhalten bleiben. Unser Freund kann sich nur durch sich selbst, durch seinen eigenen Willen retten. Besitzt er diesen noch, so hoffe ich für ihn. Wenn er einen Wunsch äußert, so haben wir ihn zu erfüllen, falls dies möglich ist, denn dieser Wunsch ist die Stützte, an welcher das niedergesunkene Leben sich aufzurichten hat.“
    „Ich bitte dich, mich hineinschaffen zu lassen. Ich möchte, wenn er erwacht, an seiner Seite oder doch wenigstens in seiner Nähe sein.“
    „Dies wird geschehen, doch warum schon jetzt? Macht dich der Aufenthalt im Freien schwach?“
    „Nein. Warten wir also bis später! Jetzt möchte ich gern wissen, was aus den Massaban geworden ist. Ich habe noch nichts wieder über sie gehört.“
    „Ich werde dir das morgen oder übermorgen ausführlich erzählen. Heut aber wird dein Inneres so sehr beschäftigt werden, daß ich dir nur das eine sagen will: Es ist uns keiner entgangen. Genügt dir das?“
    „Wenn du willst, ja. Horch! War das nicht ein Schuß? Noch einer! Und noch einer!“
    „Drei Schüsse. Sie kommen. Viel eher, als ich dachte!“
    „Mit Kara Ben Halef?“
    „Ja. Bist du innerlich gerüstet, Effendi?“
    „Gewiß!“
    „Prüfe dich! Es wird ein Sturm sein, der an deiner Seele, an deinem Leben rüttelt!“
    „Diese Seele ist stark; ich kenne sie.“
    „So sei es denn! Wir wagen viel, sehr viel, doch meine Hoffnung blickt zu Chodeh auf, der nur allein ist, dem wir Vertrauen müssen. Ich will nach Halef schauen und dann am Tor die Gäste begrüßen; hierauf kehre ich mit ihnen hierher zurück zu dir.“
    Er ging hinein, und ich hörte, daß er befahl, die Kerzen anzubrennen. Gleich hierauf drang eine Fülle des Lichtes durch die offenen Bogen heraus auf den Vorplatz. Ich sah deutlich unsere zwei Pferde liegen und mehrere Dschamikun damit beschäftigt, die aufgesteckten Fackeln

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