Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Seite Halefs, der Ustad zu seinen Füßen. Ich bekam einen Platz in der Nähe. Der Peder hatte sich auf der Ecke des Lagers niedergelassen. Er beobachtete den Kranken unausgesetzt. Schakara war auch da, und an der Tür standen zwei Männer, um etwaige Befehle sofort auszuführen.
    Ich konnte das Gesicht Halefs deutlich sehen. Die Halle war von Wachskerzen hell erleuchtet. Die Bienenzucht der Dschamikun lieferte dieses außerhalb ihres Gebietes seltene Material. Ich wiederhole, daß das Gesicht des Hadschi ganz dem einer Mumie glich. Hanneh bewegte sich nicht. Ihre Züge waren wie aus Stein geformt. Kara saß so, daß ich die seinigen nicht beobachten konnte. Was mich betrifft, so gab es in mir eine zwar erwartungsvolle, sonst aber ruhige Stille. Es war, als ob jedes Wünschen und wollen verschwunden sei; aber das bedeutete nicht etwa eine Ergebung in das Unvermeidliche, sondern es war eine Zuversicht, die ich vor der Ankunft Hannehs und Karas keineswegs empfunden hatte.
    „Sihdi!“ Was war das? Hatte mich wer gerufen? Ich schaute die anderen fragend an. Sie blickten ebenso fragend zu mir herüber. Keiner hatte dieses Wort gesprochen, aber alle hatten es gehört.
    „War es Halef?“ erkundigte ich mich.
    Niemand wußte es. Seine uns bekannte Stimme war es nicht gewesen. Auch hatte man keine Bewegung seiner Lippen gesehen. Nun hingen wir mit unseren Augen an seinem Mund, welcher ein wenig offen stand.
    „Sihdi – – – Sihdi – – –!“ Jetzt hörten wir genau, daß Halef es war, obwohl die Stellung seiner Lippen sich nicht im geringsten verändert hatte. Das war eine ganz eigentümliche Stimme, nicht laut, nicht leise, ganz ohne allen Ton und Klang und doch so gut verständlich. Wenn es Schatten oder Schemen gäbe, welche sprechen könnten, so würden sie es ganz gewiß in dieser Weise tun.
    „Halef, mein lieber Halef!“ antwortete ich.
    „Der bin ich nicht!“ erwiderte er.
    „Nicht mein Hadschi?“
    „Der bin ich auch nicht!“
    „Also mein Hadschi Halef?“
    „Ich bin es nicht!“
    „Wer bist du denn?“
    „Ich weiß es nicht!“
    „Sag mir deinen Namen!“
    „Ich habe keinen!“
    „Aber du kennst dich doch?“
    „Ich bin ich!“
    „Wo bist du?“
    „Hier!“
    „Wo ist das?“
    „Bei dir, bei meinem Sihdi! Jetzt bei den Haddedihn! Wo ist Hanneh? Sie ist nicht da! Wo ist Kara, mein Sohn? Er ist auch nicht da. Ich suche sie!“
    „Wo gehst du hin, sie zu finden?“
    Er antwortete nicht. Darum schwieg auch ich.
    Er hatte all diese kurzen Antworten gegeben, ohne die Lippen zu bewegen. Darum waren die Labiallaute nicht zu hören gewesen. Das hatte aber nicht verhindert, ihn zu verstehen.
    „Sihdi – – – Sihdi – – –!“ erklang es nach einer längeren Pause wieder.
    „Ja“, sagte ich.
    „Ich bin bei dir.“
    „Wieder?“
    „Ja. Ich habe deine Augen.“
    „Wirklich?“
    „Wirklich! Und was du siehst, das sehe ich auch! Nun ich habe sie gefunden. Ich sehe sie! Kara und Hanneh, die ich liebe. Ich sehe noch mehr – – – wer – – wer ist das? Das ist der – – – Pe – – – der Pe – – – Peder und – – – und – – – ich muß fort – – – fort von dir! – – – Wer – – – wer – – – wer bin – – – bin – – – wer bin ich und wer – – –“
    Da stand der Ustad mit einer unerwartet schnellen Bewegung auf und rief ganz auffallend laut und deutlich: „Du bist Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn! Hörst du? Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar!“
    „Had – – – Hadschi Hal – – – Halef – – –“
    Er brachte nur diese Silben zusammen; dann verhauchte seine Stimme und wurde nicht mehr gehört. Nun ließ sich der Ustad wieder nieder, bog sich zu mir herüber und fragte mich, leise flüsternd: „Begreifst du, was ich tat?“
    „Nein.“
    „So denke nach! Ich habe ihn zu sich zurückgeführt.“
    „Ist es denn möglich, eine Seele, welche bereits im Begriffe steht, ihre Verbindung mit dem Körper zu lösen, durch Worte festzuhalten?“
    „Ja, das hast du jetzt erfahren und wirst den Beweis bald kommen sehen. Für euch Abendländer ist das freilich ein Rätsel. Eure Seelenlehre ist noch nicht einmal so weit gekommen, daß sie sagen kann, was und wo die Seele ist. Wer die sonderbare Ansicht hegt, daß der Offizier im Körper des Soldaten stecke, der wird alle Bewegungen dieses Soldaten als Regungen des Offiziers

Weitere Kostenlose Bücher