22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
nützen, trotz aller Liebe und Dankbarkeit, die sie in ihrem Herzen für dich pflegt. Oh, mein Sihdi! Oh, mein Effendi! Ich wußte, daß du uns allen teuer bist, aber wie, wie, wie teuer, das wußte ich noch nicht! Das habe ich erst jetzt begriffen, wo du, von Todes Hand noch festgehalten, mit einem Lächeln auf mich niederblickst, so schwach, so matt und doch so lieb und gut, daß es mir das Herz zerreißen will! Kara Ben Halef, mein Sohn, tritt herbei, und leg deine Hände auf das Haupt dieses Mannes, der zu uns kam, um uns allen nichts als nur Liebe, Liebe, Liebe zu erweisen!“
Er biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuweinen; aber seine Lippen zitterten und seine Augen standen voll Wasser. Er legte mir nicht nur die Hände, sondern auch die Wange auf den Kopf; er hatte mich lieb, so recht von ganzer Seele lieb. Da faltete seine Mutter ihre Hände und sprach weiter: „Sihdi, ich segne dich! Ich segne dich nicht so, wie andere segnen. Ich gebe dir mehr, als was nur ich dir geben könnte. Ich segne dich durch die Hände meines Kindes, auf dem der Segen seines Vaters und seiner Mutter liegt. Dreifach also ist der Segen, der auf dir ruhen soll in alle Ewigkeit!“
Da erklang die tiefe, klare Stimme des Ustad, der, von uns unbemerkt, hinter uns an der Säule gestanden hatte: „Nicht nur dreifach soll er sein, und nicht nur gesegnet sollst du haben, sondern auch gesegnet werden!“
Er trat aus der Halle heraus, breitete sein Hände über sie und fuhr fort: „Ich sehe dich heut zum erstenmal, und doch ist es mir, als seist du mir schon längst bekannt. Ich höre, daß du Hanneh bist, unseres Hadschi Halef Weib; aber für mich und uns bist du in diesem Augenblick mehr. Du bist die Seele des weiblichen Geschlechtes, die aus der Höhe niederstieg, um Geist in Seele zu verwandeln. Wie hast du mich gerührt! Wie ward mein Herz bewegt von deinem Herzen! Es wallt in mir ein großes Wünschen auf, für welches ich das rechte Wort nicht finde. Du, eines Moslem Weib, verurteilt zu des Harems Einsamkeit, hast einem Nasarah (Christen) gegenüber dies Gesetz gebrochen, um dem höheren des Herzens zu gehorchen. Wie wert muß doch sein Christentum deines dreifachen Segens sein! Und so gern, wie es noch nie geschah, will ich für dich zu Chodeh beten, an dir zur Wahrheit zu machen, daß, wer da segnet, selbst gesegnet wird!“
Sie schaute zu ihm auf, aus weitgeöffneten Augen, mit einem langen, langen Blicke.
„Bist du der Ustad?“ fragte sie.
„Man nennt mich so“, antwortete er.
„Du sagtest, es sei dir so, als habest du mich schon längst gekannt. Habe nicht auch ich dich schon gesehen? Doch wo und wann? Ich kann mich nicht besinnen. In diesen Bergen ist es nicht gewesen. Du hast den Gebieter meines Stammes und meines Zeltes bei dir aufgenommen. Ich danke dir! Erlaubst du mir, daß ich jetzt zu ihm gehe?“
„Ich führe dich“, antwortete er. „Der Peder ist bei ihm. Doch, meine Tochter, bist du stark genug, den Hadschi so zu sehen, wie man nur Leichen sieht?“
Da richtete sie sich auf. Ihre Augen blitzten. Sie war ganz Entschlossenheit.
„Kennst du das Weib, Ustad?“ fragte sie.
„Ich kenne es“, lächelte er, „und ich sehe, daß du es bist!“
„Vielleicht erschrecke ich, doch eine Klage wirst du nicht aus meinem Mund hören. Auch mein Sohn ist stark. Komm, Kara, laß uns zum Vater gehen!“
Welch eine Frau! Der Ustad ergriff ihre Hand, um sie zu leiten. Sie gab die andere Kara; so gingen sie hinein. Ich horchte. Sie schritten langsam nach der Ecke, in welcher Halef lag; dann war es still, kein Wort, kein Laut zu hören: Wie war sie über mein leidendes Aussehen erschrocken! Halefs Anblick aber war noch schlimmer. Und doch diese Ruhe hinter mir! Ich wiederhole: Welch eine Frau!
Ich schaute den Dschamikun zu, welche Karas Dunkelbraunen und die beiden Kamele abgeschirrt hatten und ihnen nun Wasser und Futter gaben. Aber meine Gedanken waren natürlich weniger dort als in der Halle am Lager des Freundes. Erst nach langer Zeit hörte ich wieder Schritte. Der Peder kam zu mir.
„Sie ist eine Heldin und ihr Sohn ein Held“, flüsterte er mir zu. „Sie sind bei ihm. Auch der Ustad wird bleiben, denn wir vermuten, daß Halef bald erwachen werde. Ich sah, daß sich die Falten seiner Stirn bewegten.“
„Und ich? Darf ich hinein?“ fragte ich.
„Ich bitte dich darum. Er darf dich nicht vermissen.“
Er holte einige Leute, welche mich samt den Kissen hineinbrachten. Hanneh und Kara saßen zur
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