Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
erklären; über die Seele aber Auskunft zu geben, das wird ihm ganz unmöglich sein.“
    Das klang so alt und doch so neu, in jedem Fall aber wahr!
    Nun wieder störte kein Laut die Stille um uns her. Wir konnten nichts tun, als warten. Es verging wohl über eine halbe Stunde; da sahen wir, daß die bisherige Starre im Gesicht des Hadschi weichen wollte. Die Mumienähnlichkeit begann sich zu verlieren, obgleich von einer eigentlichen Wiederbelebung der Züge noch nicht gesprochen werden konnte. Jetzt bewegte er die Lippen, doch wir hörten nichts. Es war zu bemerken, daß seine Augäpfel sich unter den geschlossenen Lidern regten. Es gab ihm eine Anstrengung, welche vergeblich nach dem Erfolg rang. Hierauf zuckten seine Arme und Beine unter der Decke; es ging ein Leben durch seinen ganzen Körper, und fast schreiend erklangen die Worte: „Sihdi – Sihdi – bist du bei mir –“
    Ich sage, ‚fast schreiend‘, aber es war doch kein eigentliches Schreien, nicht einmal ein Rufen, auch nicht das, was man ‚laut‘ zu nennen pflegt. Und doch klang es so deutlich, so heftig, so todesängstlich! Man hörte dieser Stimme die außerordentliche Schwäche an, und trotzdem war sie im fernsten Winkel der Halle zu vernehmen.
    „Ich bin hier“, antwortete ich.
    „Sag wie heiße ich?“
    „Du bist mein Freund Hadschi Halef Omar.“
    „Der Scheik der Haddedihn?“
    „Ja.“
    „Ich liege bei den Dschamikun?“
    „Ja.“
    „Bin ich noch krank?“
    „Jetzt noch; bald aber wirst du gesund.“
    „Du bist Kara Ben Nemsi?“
    „Ja.“
    „So staune! Ich weiß, was sterben heißt.“
    „Sag es mir!“
    „Nicht jetzt. Das Sprechen fällt mir schwer. Sihdi, hast du nicht Glocken hier gehört?“
    „Ja, die Glocken des Gebetes.“
    „Laßt sie läuten; laßt beten, daß ich leben bleibe. – Ich will zurück zu Hanneh, meiner Seele. Sie ist – – –“
    Er hielt inne. Sein Gesicht bekam zum erstenmal wieder einen Ausdruck, nämlich den der Spannung. Er suchte in sich nach. Dann fuhr er fort, so langsam, als ob er die Worte mühsam aus der Ferne herbeiholen müsse: „Wie ist mir denn? – – – habe ich nicht – – – meine Hanneh – – – hier gesehen? – – – Saß nicht auch – – – Kara, mein Sohn – – – bei mir – – – an diesem Lager? – – – Ich hatte nicht – – – meine Augen – – – sondern andere. – – – Mit diesen Augen – – – sah ich meine – – – meine eigene Leiche. – – – Bei ihr saß Hanneh – – – wie ein Mann gekleidet – – – hier, hier – – – zu meiner rechten Hand – – – Ich kann den Kopf nicht wenden – – – die Augen nicht öffnen – – – sie nicht sehen – – – und doch, und doch – – – Hanneh, Hanneh – – – mein Glück und meine Retterin – – – ich weiß – – – du bist bei mir!“
    Da war es für einen Augenblick um ihre ganze Selbstbeherrschung geschehen. Sie stieß einen fast überlauten Schrei aus, sprang empor und rief: „Allah, ich danke dir! Fast wäre ich erstickt vor lauter Qual und Herzeleid! Nun aber kann ich wieder atmen, denn ich weiß, daß mein Geliebter nicht sterben, sondern leben wird. Du, Allbarmherziger, hast ihn mir zurückgegeben!“
    Wir hatten während dieser Worte nur auf sie geschaut und nicht auf Halef gesehen. Nun aber staunten wir über die Wirkung, welche der Klang ihrer Stimme auf ihn hervorgebracht hatte. Er bewegte den Kopf; seine Züge hatten Leben bekommen; seine Augen waren geöffnet und mit dem Ausdruck des Entzückens auf Hanneh gerichtet. Kara war auch aufgestanden; er trat an die Seite seiner Mutter. Halef sah ihn neben ihr. Da konnte er plötzlich auch die Hände bewegen. Er faltete sie und sprach: „Auch du bist hier, mein Liebling? Ich bin nicht gestorben und habe doch die Seligkeit, den ganzen, ganzen Himmel hier bei mir!“
    Hierauf schloß er die Augen. Mutter und Sohn knieten bei ihm nieder. Sie nahmen seine Hände und sprachen ihre überquellende Liebe in zärtlichen Worten aus. Er antwortete nicht. Da erklangen über uns die Glocken, denn einer der an der Tür stehenden Dschamikun war, sobald Halef diesen Wunsch ausgesprochen hatte, fortgegangen, um ihn zu erfüllen. Der Kranke hörte es und lächelte. Jetzt beteten Tausende für ihn. Wir hier in der Halle auch. Er schlief indessen ein. Mit ihm auch noch ein anderer, nämlich ich.
    Das war nach den

Weitere Kostenlose Bücher