22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Anforderungen, welche dieser Abend an mich gestellt hatte, gar nicht verwunderlich. Ich wurde so plötzlich von einer ganz unwiderstehlichen Müdigkeit befallen, daß mein aufrecht sitzender Oberkörper den Halt verlor. Ich fiel um. Man trug mich nach meiner duftenden Veilchenecke, in welcher ich einen so langen und tiefen Schlaf tat, als ich am nächsten Tag von ihm erwachte, die Sonne sich fast schon wieder zum Untergange neigte. Ich fühlte sogleich, daß diese lange Ruhe mich außerordentlich gekräftigt hatte.
Wer saß bei mir, als ich die Augen öffnete? Hanneh! Sie hatte einen mitgebrachten Frauenanzug angelegt. Als sie sah, daß meine Augen offen und auf sie gerichtet waren, reichte sie mir die Hand und sagte: „Ich grüße dich aus vollem Herzen und mit meiner ganzen Seele, mein Effendi. Ich wartete auf dein Erwachen. Inzwischen sitzt mein Kara dort bei Halef, um mir sofort zu melden, wenn ich nötig bin. Jetzt mußt du sogleich essen. Ich werde es Schakara sagen, daß sie dir die Speise bringe.“
„Weißt du, wo sie ist?“
„Ja. Sie ist schnell meine Freundin geworden, denn sie besitzt ein siegreiches Herz, dem niemand widerstehen kann.“
Hanneh stand auf und eilte hinaus, um bald darauf mit der Kurdin zurückzukehren. Während die letztere mir beim Essen behilflich war, ging die erstere zu Kara und Halef, welcher, wie Schakara mir sagte, seit gestern abend in einem immerwährenden, tiefen und wahrscheinlich wohltätigen Schlaf gelegen hatte. Hanneh beugte sich über ihn und berührte seine Stirn mit ihren Lippen. Sie schien ihn dadurch aufgeweckt zu haben, denn er begann, sich zu regen. Schakara verließ sofort die Halle, um den Peder zu holen, welcher das Verlangen geäußert hatte, bei dem Erwachen des Scheiks gegenwärtig zu sein.
Ich hörte, daß Halef leise vor sich hin sprach. Zu verstehen war aber nichts. Auch hatte er die Augen nicht geöffnet. Da kam der Peder. Er beobachtete den Kranken kurze Zeit und winkte dann Hanneh, mit ihm zu reden. Sie tat es, indem sie laut einige Worte sprach, die seine Kosenamen waren. Da ging ein Lächeln über sein Angesicht. Er lauschte. Sie wiederholte die Worte und knüpfte an sie die Frage, wie er sich befinde. Da hörte ich seine außerordentlich matte und doch so deutliche Stimme erklingen: „Hamdullillah – – – es war – – – kein Traum – – –! Mein Leben – – – ist zu mir – – – gekommen! Hanneh – – – Hanneh – – – und – und – und – – –“
Er schwieg, um nachzusinnen. Da fuhr Kara an seiner Stelle in dem angefangenen Satz fort: „Und ich ebenso, mein Vater! Kara Ben Halef, dein Sohn; ich bin auch bei dir!“
„Kara – – – mein – – – mein Sohn – der junge Held – – – der Haddedihn?“
Er bewegte den Kopf; er kehrte das Gesicht dem Sohn zu, doch ohne die Augen aufzuschlagen. Dann sprach er weiter: „Auch hier – – –? Zur mir – – – gekommen? – – – Ich sah ihn schon – – –! Geritten – – –?“
„Ja, mein Vater.“
„Auf – – – auf welchem Pferde?“
„Auf Ghalib, den du mir schenktest, damit er mich lieben und meinen Willen verstehen lerne.“
Da ging ein schneller, energischer Ruck durch Halefs Körper.
„Steig auf!“ sagte er.
„Auf Ghalib?“ fragte Kara.
„Ja.“
„Jetzt? Hier?“
„Ja – – –! Der Stamm der Haddedihn – – – bist du – – –! Ich will – – – die Tapferen sehen!“
Dieser Befehl erklang in mattestem Ton und trotzdem so willenskräftig. Kara sah den Peder fragend an. Dieser nahm ihn bei der Hand, um ihn von dem Lager weg und hinaus auf den Vorplatz zu führen. Dabei hörte ich, daß er ihm die Unterweisung gab: „Der Braune muß so schnell wie möglich gesattelt werden. Du legst alle Waffen an und kommst so, wie man sich in den Kampf begibt, herein und bis zu deinem Vater geritten. Das muß so sein! Dein Anblick gibt ihm neue Lebenskraft. Beeile dich, mein Sohn!“
Halef war jetzt still; aber er wartete. Seine zwar nur leisen, aber ungeduldigen Bewegungen verrieten das. Nach einigen Minuten – es waren wohl kaum mehr als fünf – erklang seine Stimme wieder: „Kara – – – schnell – – – schnell – – –! Ich habe – – habe – – – keine Zeit – – –!“
Der Ton war so ängstlich, daß Hanneh rasch aufstand und an die nächste Säule trat, um nachzuschauen. Da kam der Peder auch schon
Weitere Kostenlose Bücher