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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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als bis diese Geschwulst verschwunden sei. Dadurch ist das Bein kürzer geworden. ‚Das Kind‘ hinkt und wird deshalb von vielen Leuten El Aradsch, der Lahme, genannt. Aber eine Schwäche ist nicht zurückgeblieben, Tifl springt und reitet ebenso schnell und ebenso vortrefflich wie vorher, doch Saïs konnte er nun als Hinkender unmöglich werden.“
    „Ich vermute, du hast ihn gepflegt?“
    „Natürlich! Kein anderer Mensch durfte ihn berühren; ich duldete es nicht. Ich war ja schuld an seinem Zorn, in dem er tat, was er sonst gewiß unterlassen hätte. Und – und – darf ich dir etwas anvertrauen, Effendi?“
    „Warum nicht?“
    „So will ich dir sagen: Dieser Unfall hat mich mit meinem Tifl für immer so vereint, daß er mir gehorcht in allen Stücken, außer – außer – wenn er auf dem Pferd sitzt. Dann ist er der Herr; dann habe ich nichts zu sagen, ihm nichts zu befehlen. Er schämt sich noch heute jener Betrunkenheit. Ich brauche sie nur so von weitem zu erwähnen, so tut er alles, was ich will, nur damit ich schweige. Ist das im Abendland, wo man alles, was man will, trinken darf, ebenso? Ist auch dort der Rausch der Vater und die Betrunkenheit die Mutter so fortgesetzter Scham?“
    Welche Antwort hätte ich auf diese Frage wohl geben können! Glücklicherweise wartete Pekala sie gar nicht ab, sondern fuhr in ihrem Eifer sogleich fort:
    „Wie dankbar mein Tifl damals war, und wie dankbar er jetzt noch ist! Er haßt und verachtet die Undankbarkeit ebenso wie ich. Wir haben beide einander gesundgepflegt, erst ich ihn und dann er mich.“
    „Auch du wurdest krank?“
    „Oh, wie sehr! Nicht mein Körper, sondern meine Seele. Kaum konnte Tifl wieder gehen, so trat der Tod zu uns und nahm mir meinen Vater. Weißt du, was das heißt? Ich hatte nur diese beiden, den Vater und ‚das Kind‘, weiter keinen Menschen. Ich hatte nur für diese zwei gelebt. Als Vater tot war, wollte ich auch sterben, wollte ihm nach, wollte zu ihm. Ich weinte und jammerte den ganzen Tag; ich durchwachte alle Nächte. Man lachte über mich; mein Tifl lachte nicht. Aber er gab mir auch nicht recht. Er schalt mich aus. Da wollte ich über ihn zornig werden, tat es aber nicht, denn wir hatten uns mit Hand und Mund versprochen, nie wieder zu zanken, und das hielten wir. Er dachte über den Tod ganz anders als ich. Was sagst du von ihm, Effendi?“
    „Es gibt gar keinen Tod“, antwortete ich.
    Da schlug sie die Händchen zusammen und rief im Ton der Verwunderung aus:
    „Auch du? Auch du? Und doch habe ich gehört, daß man im ganzen Abendland ebenso fest an den Tod glaube, wie hier bei den mohammedanischen Sunniten und Schiiten! Der Ustad hat uns gelehrt, daß der Tod für ewig besiegt und überwunden sei. Ich glaubte, daß nur er dies sagen und beweisen könne, und nun höre ich, daß du dasselbe denkst! Der Tod war mit ein böser, finstrer Mann, der jeden holt und keinen wiedergibt. Ich fürchtete mich vor ihm, wünschte aber doch, daß er komme und mich zu meinem Vater führe, denn ich liebte diesen mehr, viel mehr als ich das Sterben fürchtete. War das klug oder töricht, Effendi?“
    „Keines von beiden! Aber du glaubst, damals über den Tod anders gedacht zu haben als jetzt?“
    „Ja.“
    „Nun, so sag: Was glaubst du jetzt?“
    „Daß es keinen gibt, ganz so wie du.“
    „Und damals?“
    „Daß es einen gibt.“
    „Du irrst. – Du glaubtest schon damals nicht daran.“
    „Nicht? Effendi, das muß doch ich wissen, nicht aber du!“
    „Du hast es doch selbst gesagt!“
    „Wann?“
    „Soeben! Du hast gewünscht, daß der Tod komme und dich zu deinem Vater führe. Kann es da einen Tod geben? Nämlich in deinen Gedanken!“
    „Gewiß! Ich wünschte ihn ja herbei!“
    „O Pekala, o Pekala!“
    „Du lächelst? – Warum?“
    „Der Tod soll dich zu deinem Vater führen. Wenn er das kann, so gibt es deinen Vater noch?“
    „Natürlich!“
    „Und wenn er dich zu ihm bringen soll, so bist auch du noch vorhanden?“
    „Ja.“
    „Also ihr beide, du und dein Vater, seid noch da?“
    „Ja. Ich komme zu ihm!“
    „So seid ihr aber doch nicht tot!“
    Da machte sie eine Gebärde des Erstaunens und rief aus:
    „Maschallah! Das ist richtig! Du hast mich gefangen!“
    „Nicht dich habe ich gefangen, sondern etwas ganz anderes! Denke weiter! Wenn ihr nach dem Tod nicht tot seid, gibt es doch gar keinen Tod!“
    „Diesen Gedanken begreife ich. Aber man stirbt doch!“
    „Ist dieses Sterben ein Aufhören, ein

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