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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ist und immer bleiben wird. Er fügte nichts hinzu, kein Wort, kein einziges. Er lehnte noch einige Zeit still an der Mauer und ging dann fort, so leise, leise wie er gekommen war. Ich aber saß noch lange, lange unter den überhängenden Tarfazweigen und es wurde ruhig und immer ruhiger in mir. Meine Tränen hatten aufgehört zu fließen; meine Todessehnsucht schwieg. Ich sah durch die langen, feinen Blütenrispen hindurch den Mond am Himmel stehen. Der Sonnenstrahl war bei ihm: Ich sah ihn leuchten. Unten bei mir, auf der Erde, war es dunkel. Aber morgen, morgen wird alles, alles um mich her im Sonnenglanz strahlen. Auch der Strahl ist dabei, den ich liebe, nach dem ich mich sehne. Oh, Effendi, Effendi, ob mein Auge dann wohl so geöffnet ist, daß ich imstande bin, ihn zu erkennen?“
    Ich sah sie an und mußte mir Mühe geben, ihr nicht merken zu lassen, daß ich über sie staunte. War das noch die ‚festjungfräuliche‘ Köchin, die mir beinahe lächerlich vorgekommen war? In welchem Licht erschien mir jetzt ihr ewig langer ‚Tifl‘, den ich für einen Schwachkopf gehalten hatte! Hatten etwa die Bewohner des ‚hohen Hauses‘ alle zwei verschiedene geistige Gestalten? Muß man aus Europa zu den verachteten Kurden gehen, um Menschenseelen entdecken zu lernen? Sieht man nicht, so oft man eine solche Entdeckung macht, daß jeder Mensch eigentlich zu zweien ist? Warum wurde es mir hier so leicht, daheim aber so schwer gemacht, das zu erkennen, was der Scheik der Haddedihn nicht ‚den Hadschi‘, sondern ‚den Halef‘ nannte? Ich riß mich von diesen Gedanken los, denn ich sah, daß Pekalas Augen betrachtend auf mich gerichtet waren.
    „Wo hatte das ‚Kind‘ den Gedanken her, dir grad mit diesem Gedicht den beabsichtigten Trost bringen zu können?“ fragte ich.
    „Die Liebe sagte es ihm, Effendi. Hast du noch nie bemerkt, daß die wahre, wirkliche Liebe stets das Richtige trifft? Es war nach dem Tod des Vaters nun zum erstenmal, daß ich ruhig und ununterbrochen bis zum Morgen schlief. Als ich erwachte, war ich ernst, doch weinte ich nicht mehr. Wenn eine Träne emporsteigen wollte, dachte ich an den Sonnenstrahl, der nicht stirbt, sondern strahlend wiederkehrt. Und es geschah auch sehr bald, daß ich keine Zeit mehr hatte, mich der Trauer hinzugeben. Der Vater war tot; man brauchte mich nicht mehr. Was sollte ich tun? Wo sollte ich hin? Tifl ging nun lahm. Er konnte nicht Saïs werden. Man beschloß, ihn als unbrauchbar zu den Dschamikun zurückzuschicken. Da geschah es, daß unser Peder nach Teheran kam, um nach seinen Leuten zu sehen, welche bei der Leibgarde des Beherrschers standen. Er schaute auch nach Tifl, und dieser erzählte ihm von mir. Da ließ er mich zu sich kommen. Hast du gesehen, wie schön, wie gut seine Augen sind? Er richtete sie auf mein Angesicht, als ob er mir durch Leib und Seele schauen wolle. Dann fragte er mich, ob es mir recht sei, ‚mein Kind‘ zu den Dschamikun zu begleiten und dort zu bleiben, so lange es mir gefalle. Wie glücklich mich das machte! Ich nahm sie an, die neue Heimat, die mir so lieb geboten wurde. Ich mag sie nicht verlassen, so lange, als ich lebe, und da es keinen Tod gibt, ist es mein allergrößter Wunsch, dann einst wie jener Sonnenstrahl zu sein, der mir gesagt hat, daß ich niemals sterben werde.“
    Sie schlug den Schleier wieder auseinander und stand auf.
    „Ich habe eine Bitte, Effendi“, sagte sie. „Wirst du sie mir erfüllen?“
    „Gern, wenn ich kann.“
    „Du kannst es, wenn du willst. Sei ein wenig lieb und gut zu ‚meinem Kinde‘! Verzeihe ihm seinen heutigen Irrtum! Seine allergrößte Freude ist die Dankbarkeit, und diese Freude wirst du ihm bereiten, wenn du die Güte hast, ihn freundlich zu beachten.“
    „Es bedarf dieser deiner Bitte nicht, meine gute Pekala. Wenn ich so weit gekräftigt bin, daß ich mich wieder in den Sattel setzen darf, werde ich hier täglich einen Ausflug unternehmen. Er kennt die Gegend und ist, wie ich gesehen habe, ein vortrefflicher Reiter. Darum soll er mich begleiten. Sage ihm das!“
    „Wie wird er sich darüber freuen! Ich sage dir meinen Dank dafür, ja, den meinigen, denn ich bin stolz darauf, daß du keinem anderen diesen Vorzug gibst, als grad ‚dem Kind‘, welches ich erzogen habe!“
    Sie legte die Hände auf der Brust zusammen, verbeugte sich und ging. Ich schaute ihr nach, bis sie jenseits der Gartentür verschwand. Welch ein eigenartiges, psychologisch höchst interessantes

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